Lotte Maiwald + Franca Scholz - Perter Mertes Stipendium 2019—Kunstverein Bonn

Unlängst sind wieder textile Medien wie Stoffe, Tuche oder Garne als Ausdrucksform ins Zentrum der Kunst gerückt. Feministisch, queer, subversiv, organisch, politisch, alternativ – die Liste der Potentiale, die in den stoffbasierten Werken innerhalb einer global agierenden Riege junger Künstler*innen gesehen werden, ist lang und mit jede Menge Aufregung besetzt. Nun denn, sei es Zufall oder nicht zeichnet das Peter Mertes Stipendium für das Jahr 2019 mit Lotte Maiwald und Franca Scholz zwei zur Zeit im Bonner Kunstverein zu sehende Preisträgerinnen aus, in deren Werken das Textile als Trägermedium der künstlerischen Botschaft eine entscheidende Rolle spielt. Und bei beiden Künstlerinnen lässt sich in der Verwendung von Stoff durchaus diese in der Kunstwelt so gepriesene non-konforme, rebellische Haltung erkennen, mit der Gattungsgrenzen gesprengt und neue Terrains des Ausdrucks ausprobiert werden. Beim jeweiligen Einsatz textiler Medien zeigen sich jedoch bereits die Unterschiede zwischen den Künstlerinnen. Während Maiwald vor allem malerisch arbeitet und einen in der Struktur leinwandähnlichen Nesselstoff als Untergrund benutzt, welchen sie frei von Rahmung von der Wand bis auf den Fussboden ragen lässt, stellt Scholz genähte Skulpturen und andere rätselhafte Gebilde aus weißem Baumwolltuch und Jersey her, welche sie versehen mit sprachlichen Details zu Installationen arrangiert.

Maiwalds Malereien nehmen gemeinsam mit einer Skulptur den ersten Ausstellungsraum im Bonner Kunstverein ein. Unmittelbar mit dem Eintreten betritt man eine Bilderwelt, die in Farbigkeit, Struktur und Akteuren unglaublich vielfältig erscheint. Bis man erkennt, dass man es in den an die Wand gepinnten, in Maß und Form variierenden Werken mit einem sich wiederholendem, erstaunlich konformem Kosmos aus drei identischen Protagonisten zu tun hat. Diese tummeln sich in losen Konstellationen vor landschaftlich wirkenden, großteils in Ort und Zweck völlig unbestimmbaren Szenerien aus fließenden Farbverläufen irgendwo zwischen Erde, Himmel und Universum. Ohne in direkte Interaktion zu treten,  begegnen dem/der Betrachter*in ein gesichtsloser Mensch, der bekleidet in ein Art Gewand und einen bunt gestreiften Umhang eine ebenfalls gestreifte Fahne über der Schulter trägt, eine an einer dünnen Stange baumelnde weiße Flagge sowie eine Solarbetriebene Überwachungskamerasäule, eine unwirkliche Konstruktion aus einem mit Solarzellen versehenen Kasten, auf dem fixiert über Stahldräte ein Mast mit einer Kamera montiert ist.

Wie Pioniere erobern diese Akteure völlig leere, verschwommene Hügellandschaften und Küstengebiete, verlassene Straßenzüge und fremde Planeten, die in einem ausgewähltem Spektrum kontrastreicher Farben gehalten sind. Dabei verharren sie in einer immer gleichen Haltung und erscheinen bis auf die sich ändernde Windrichtung der Flagge in einer identischen Ansicht. Die freie, schwebende und autonome Setzung der Protagonisten lässt bei Maiwald an ein Stickerbuch mit verschiedenen Hintergründen denken, beklebt mit einer begrenzten Auswahl von Akteuren, um daraus Geschichten entstehen zu lassen. Doch genau an der Stelle, wo der/die Betrachter*in übergeht von der Erfassung von Kompositionen von Figuren hin zu der Suche nach Erzählungen, gelangt man an diese heikle Schwelle in Maiwalds Werken, welche die Frage nach der Logik mit hinein bringt. Ein Angehen, das die Künstlerin ad absurdum führt, indem sie die Akteuere ihrer Bilderwelt auf Distanz zu sämtlichen Sinn schaffenden Vorraussetzungen hält.

Der Intention Maiwalds fungieren die Akteure in ihren Bildern wie Platzhalter für bestimmte Ideen oder Phänomene, die jedoch außerhalb der Bilder liegen und nie durch die Figuren selbst ausgedrückt werden. So habe der Mensch mit dem Umhang die Funktion eines reinen Stellvertreters, der mit dem Tragen einer Flagge und eines Capes eine Nation oder eine politische Ansicht verkörpere – oder eher die Idee dieser Repräsentation. Die Überwachungssäule, ein einem selten bewusst begegnender, jedoch für Baustellen im Stadtbild häufig eingesetzter Gegenstand, erinnert an das Phänomen der Überwachung, welches diese seltsam erscheinende Konstruktion auf eine fast humorvolle Weise, eher harmlose Weise ausstrahlt. Das Fähnchen wiederum ist als markierender Operator gedacht, der ein bestimmtes Gebiet einnimmt und kennzeichnet, wie etwa die Flagge auf dem Mond. Was diese drei Akteure nun zusammenbringt, wie sie in Zusammenhang stehen und interagieren, auf diese Frage gibt keines der Bilder eine Antwort.

Es ist der Anklang an die Realität, an hinter den Figuren und ihrer Platzierung stehende mögliche Bezüge zu politischen oder gesellschaftlichen Inhalten, mit denen Maiwald ganz bewusst in ihren Bildern spielt. Zwar pflichtet die Künstlerin bei, dass sie ihr politisches Interesse und die Auseinandersetzung mit bestimmten aktuellen Themen in ihre Bilder einfließen lasse. Dennoch verstehe sie ihre Bilder und das sich in ihnen abspielende eher abstrakt. Und so tauchen wesentliche Elemente und Träger uns alltäglich umgebender Diskurse – ein für eine bestimmte Haltung Flagge Zeigender, ein Organ des digitalen, autoritär-kapitalistischen Überwachungssystems sowie eine territoriale Ansprüche signalisierende Flagge – in Maiwalds Werken als Abstraktionen auf, die gerade durch ihre offene, spielerische Veranlagung bedrohlich erscheinen. Überall kommt in der Begegnung mit den Bildern das vage Gefühl  auf, sich einer Sache nicht ganz gewahr und verunsichert zu sein auf. Es ist das selbe Gefühl, das einen überkommt, wenn man es mit Nachrichten oder gesellschaftlichen Tendenzen zu tun hat, die sich bereits in der Umgebung zeigen, aber nicht ganz einordnen lassen. Für diese spezifische Stelle, an der man nicht ganz weiß, ob sich etwas gut oder schlecht entwickelt, hat Maiwald mit gekonnter Ironie einen bildlichen Ausdruck gefunden.

Ein sanfter Hauch von unter der Oberfläche verborgenem Humor weht auch durch das skulpturale Werk von Franca Scholz. Und vielleicht ist die Metapher des Windes hier ganz passend, denn die in weißem Baumwoll- und Jerseystoff sehr fein und leicht gehaltenen Werke verteilen sich luftig im Raum, wie zum Trocknen aufgehängte Wäsche. Der weiße Stoff als eigesetztes Material bringt, so wie ihn die Künstlerin einsetzt und daraus runde Bälle, an Quilts erinnernde bestickte Decken, Skulpturen sowie eine Reihe Kleidungsstücken ähnlicher, aber an sich gänzlich undefinierbarer Objekte formt und näht, eine starke physische und psychische Assoziationskraft mit. Erfahrungen des Ruhen in frischer, weißer Bettwäsche wachrufend oder an das  Gefühl von Geborgenheit erinnernd, das ein Stapel gewaschener Wäsche aufruft, sind alle Arbeiten auf die Erfahrung von Körperlichkeit ausgerichtet. Manche Arbeiten, wie eine Bodenskulptur aus zwei ineinander gefalteten Händen, von der Decke herabhängende Buchstaben oder der aufgestickte Spruch ,,Oh Body“ und scheinbare Boxsäcke haben einen spielerischen, fast humorvollen Ton. Diesem Komplex des körperlichen Erlebens fügt Scholz weitere Motive hinzu, wie erotische Beziehungen, Intimität oder Häuslichkeit.

Um die Materie des weißen Stoffes, dessen Reinigung wie Beschmutzung kreisend, spielen die Werke allerlei gegensätzliche Eindrücke und Gefühle in den Raum. Scholz regt den/die Betrachter*in zu einer neuen Auseinandersetzung mit den Bedingungen an, unter denen wir uns geborgen fühlen oder was gegenteilig abstoßend wirkt. Dabei stellt sie auch die sozialen Prozesse und Rollen zur offenen Hinterfragung, die für das Bieten dieser Art von Geborgenheit zuständig sind. Für den sehr unterschiedlich besetzten Begriff der ,,Reinheit“ gibt es sicherlich keine treffendere materielle Manifestation als den unbefleckten, weißen Stoff. Und es scheint, als würden sich die weißen Stoffobjekte, Decken und Fragmente ebenso mit der Problematik dieses Begriffes beziehungsweise Anspruches auseinandersetzen. Denn die Objekte sind, wie man es erst bei genaueren Hinsehen bemerkt, nicht ,,rein“ sondern mit kleinen blassen Flecken, eingenähten Störelementen wie Musterfragmenten, Bordüren oder falschen Haarsträhnen versehen sowie mit Sätzen und Sprüchen bestickt, teils minuziös, teils großformatig und sich farblich häufig nur wenig vom Stoff abhebend.

In der Begegnung mit Scholz‘ Werk befindet man sich so im Spannungsfeld zweier gegensätzlicher Prinzipien. Einmal umgibt den/die Besucher*in ein omnipräsenter Prozess der Reinigung, akustisch untermalt durch eine Wasserrauschen und Geräusche des Schüttelns von Wäsche in den Raum ausstrahlenden Audioinstallation und angedeutet durch Tropfpfützen aus Plexiglas unter den aufgehängten Stoffobjekten. Dann wird diese Reinheit und Geborgenheit wieder aufgebrochen durch das Weiß trübende Elemente wie Flecken, aber vor allem auch durch den Aspekt der Sprache, indem überall auf den Stoffobjekten aufgestickte Zitate von Begierde, innerlicher Zerrissenheit, körperlichem Zagen und Machtverhältnissen erzählen. Der/die Betrachter*in schwankt so in der Auseinandersetzung mit den Werken zwischen extrem gegensätzlichen Eindrücken von  Heimeligkeit und Sauberkeit einerseits sowie Fremdheit und Abscheu andererseits.

Das heile häusliche Umfeld, für welches die weiße Wäsche emblematisch steht, wird innerhalb des Ensembles der Arbeiten mehr und mehr zur Disposition gestellt. Dies geschieht auch auf einer weiteren medialen Ebene. So setzt in einer auf eine gesamte Wand gestrahlten Videoprojektion eine als Text zu lesende Stimme über stichsatzartige Beschreibungen der Ausstattung und räumlichen Aufteilung ihrer Wohnung ihre Umgebung mit ihrer inneren Verfassung ins Verhältnis. Prominent zitierte Orte wie ,,Das Badezimmer“ oder ,,Das Sofa“, zwischen denen sich die Person bewegt, erscheinen hier als mit spezifischen Assoziationen besetzte Fragmente einer privaten Welt, die sich genau so desorientiert zeigt wie das seelische Innenleben der Stimme. Im Zusammenspiel der Videoprojektion mit den Werken aus Stoff, projiziert Scholz, so wie sie es selbst beschreibt, die Welten, in denen sich Häuslichkeit und Privatheit abspielen, in den Ausstellungsraum, gemeinsam mit ihren Höhen und Tiefen, wie sie eingeschrieben sind in den Verunreinigungen der weißen Wäsche.

Mit den Konnotationen von ,,Zu Hause“, die die Künstlerin in ihrem Werk über das Medium des weißen (un)gewaschenen Stoffes evozieren möchte, öffnet sie ein Fenster in einen enorm umstrittenen und heiklen, weil von unterschiedlichen und teils unvereinbaren Ansichten, Prinzipien und Idealen besetzten Bereich. Feministische Themen und gesellschaftliche Diskussionen um Rollen und Stereotype klingen genauso an wie um den Begriff der ,,Unbeflecktheit“ kreisende religiöse Tabus oder Regeln. Auch von der psychischen Fixierung auf Reinheit ausgehende Zwänge oder Fetische klingen irgendwo zwischen den Laken an. Denn in der Konsequenz der Auseinandersetzung mit dem Gefühl von Geborgenheit und Zu Hause steht für Scholz auch die Betrachtung, wer sich um dieses Gefühl kümmert und wer letztendlich zum Hüten der Reinheit bestimmt oder verdammt ist. Schließlich wird die Frage nach der moralischen Verantwortung – ob wir dieses Wohligkeit schaffende Modell weiterhin unterstützen und auf das strahlende Weiß beharren oder ob wir von dieser Fixierung ablassen, und eine neue, positivistische Definition für die ,,Verunreinigungen“ finden, die das lebendig Sein auf einem ersetzbaren Stück Gewebe hinterlässt – zurück auf den/die Besucher*in gelenkt. Wie nachdrücklich Scholz dies anhand des Einsatzes eines klar definierten, zurückhaltend gewählten künstlerischen Ausdrucksmaterials gelingt, ist, auch wegen des Fehlens von jeglichem Pathos oder Anklage, erstaunlich.

 

 

 

Kunstverein Bonn. Peter Metres Stipendium 2019: Lotte Maiwald  |  Foto: Mareike Tocha

Kunstverein Bonn. Peter Metres Stipendium 2019: Lotte Maiwald  |  Foto: Mareike Tocha

Kunstverein Bonn. Peter Metres Stipendium 2019: Lotte Maiwald  |  Foto: Mareike Tocha

Kunstverein Bonn. Peter Metres Stipendium 2019: Franca Scholz  |  Foto: Mareike Tocha

Kunstverein Bonn. Peter Metres Stipendium 2019: Franca Scholz  |  Foto: Mareike Tocha

Kunstverein Bonn. Peter Metres Stipendium 2019: Franca Scholz  |  Foto: Mareike Tocha