Ob etwas schön ist oder nicht, lässt sich in der Kunst wie auch überall sonst, nie endgültig beurteilen. Es sind selten objektive Bewertungen, welche die Frage nach dem Schönsein bestimmen. Vielmehr ist es ein Gefühl, das ,,Schönheitsempfinden“, welches die Sinne regiert und das so stark von Subjektivität geprägt ist, dass die Meinungen beim Thema ,,Schönheit“ weit auseinandergehen können. Unter dem programmatischen Titel ,,Schönheit!?“ widmet sich in der Galerie Gisela Clement in Bonn seit langem wieder eine Ausstellung diesem hoch kontroversen Thema. Konzipiert und gestaltet von der Kunsthistorikerin und Bonner Professorin Anne-Marie Bonnet, sind die Werke dieser rund zwanzig Positionen umfassenden Ausstellung aus einem breiten Spektrum von Malerei, Fotografie, Skulptur und Film komponiert, nicht als Illustration eines bestimmten Konzeptes von Schönheit gedacht. Schönheit!? soll einen Anstoß geben, den Betrachter über das eigene Schönheitsempfinden reflektieren zu lassen. Nicht das absolute ästhetische Erleben von Schönheit oder auch Un-Schönheit ist die Absicht der Kuratorin, sondern vielmehr das Erspüren der eigenen feinen Schönheit ein- oder ausschließenden Grenzen, die jeder für sich nach eigenen, oft unbewussten Regeln zieht.
Schönheit!? zeichnet sich durch eine den Betrachter zunächst irritierende Eigenschaft aus. Kaum eines der Werke lässt sich mit einem absoluten Schönheitsbegriff erfassen. Auch gelingt es selten, etwas als unschön zu verwerfen, obwohl es Aspekte in den Werken gibt, die ästhetisch anecken oder das eigene Schönheitsempfinden herausfordern. Eines der ersten Werke, dem man begegnet, eine Fotografie der amerikanischen Künstlerin Tamara Grcic, welche in einer Hinterkopfansicht die Haare von neun anscheinend im Vorbeigehen auf der Straße aufgenommen Frauen zeigt, trifft genau in diesen Zwischenraum. Haare sind ein Schönheitsideal, umrahmen und vollenden das Gesicht, doch so in Nackenansicht sieht man einfach nur Haare, Haare die hier zwar weit von zu intim oder eklig auftreten und trotzdem gängige Erwartungen an Schönheit enttäuschen. Das Video der Performance-Künstlerin Patrycja German, die sich fast in allen ihren Arbeiten eng mit Körperkonzepten und -klischees auseinandersetzt, welches sie in 22 langen Minuten dabei zeigt, wie sie sich mit einer Pinzette die Augenbrauen ausreist, wirkt Gricic’s Werk gegenüber wie eine erneute Destabilisierung klassischer, auf bestimmte Körpermerkmale fixierter Schönheitsideale.
Im Ausstellungsrundgang geben weitere Werke geben den Anlass, sich auf eine Reise zu der Erweiterung gängiger Schönheitsideale zu begeben. Diese Erkundung erfolgt über Werkskontraste, die zum Teil ,,klassisches“ Schönheitsempfinden ansprechen, zum Teil aber auch völlig fern dieser geläufigen Überzeugungen ein völliges Neu-Einlassen auf die Idee des Erlebnisses von ,,Schönheit“ erfordern. Beruhigend still aber auch irgendwie kalt und entrückt im Ausdruck begegnet einem eine schlichte wie majestätische, weiß lackierte Vase der Tonkünstlerin Young-Jae Lee. Dem selben dumpfen Weiß steht man erneut in einer mit Ölstift ausgeführten Malerei von Stephan Baumkötter gegenüber, in in der man nicht viel mehr als einen undurchsichtigen Nebel erkennt, Vorder- und Hintergrund verschlucken sich in einer depressiven Stimmung gegenseitig. Wieder näher an idealistische, klischeehafte Schönheitsüberzeugungen gerät der Betrachter mit dem Triptychon ,,Cliché of a Man“ von Inga Kerber. Die Bilder zeigen in einer sphärischen, fast mythischen Erhabenheit in Schrägansicht einen jungen Mann mit nacktem Oberkörper, den Blick in die Ferne gerichtet. Das Licht, das ihn von der Seite anstrahlt, dimmt allmählich ab, bis die Figur von der Dunkelheit verschluckt wird. Im Betrachter wird so die Illusion ausgelöst, einem besonders ephemerem Moment des Männlich-Schönen beigewohnt zu haben. Dieser Eindruck von Erhabenheit wird wieder durch die fröhliche Wandskulptur von Keti Kapanadze aufgelöst. Bauelemente von Nierentischen sind zu einer unbeschwert springenden Figur zusammengesetzt und humorvoll mit Glitzerelementen versehen, die einen daran erinnern, dass auch bei aller hohen Schönheit ein bisschen Kitsch ab und zu gut tut.
Angekommen in der oberen Etage trifft man entlang des offenen Flurs zwischen den beiden Ausstellungsräumen zum ersten Mal auf eine Werkspräsentation, die einen dazu anstößt, nicht nur gängige Konzepte von Schönheit zu verlassen sondern überhaupt eine Auseinandersetzung mit Aspekten zu zu lassen, an die man selten heran geht oder die man sogar vermeidet. Die achtteilige Fotografien Serie der Künstlerin Heather Sheehan ,,Dreaming of Escape“, sämtlich als Selbstporträt entstandene analoge schwarz-weiß Abzüge, löst unbequeme Gefühle aus. Man sieht die Künstlerin nackt und knochig mit geschlossenen Augen in einem dunklen Holzdachboden auf einem Tisch liegen oder in weißen Stoff gehüllt in ebenso lebloser Gestik auf dem Boden. Bis schließlich in einer unerklärlichen Transformation, die die Kamera nicht ganz festhalten konnte, der Körper aus dem Stoff verschwindet und nur eine schwebende Wolke aus Licht bleibt. Die in einer minimalistischen Ästhetik gehaltenen Bilder lassen unmittelbar das Thema Sterblichkeit, des Eingesperrt-Seins anklingen, bringen aber auch einen Funken Erlösung und Hoffnung mit. Morbide Szenen oder Momente von Erhabenheit? Sheehans Werk ist voller Kontroversen und regt so genau die Debatten über dieses gar nicht so einfach zu fassende Schönheitsempfinden an, zu der Anne-Marie Bonnet uns ermutigen möchte.
Oben angekommen hat man allmählich verinnerlicht, dass Schönheit in mehr als nur einer Dimension erfahrbar ist und der Begriff in sich vollkommen von Widersprüchen durchzogen ist, die zu höchst konträren oder sogar unvereinbaren Standpunkten führen können. Um diese neuartigen und manchmal auch befremdlichen Eindrücke zu befrieden, bietet die Ausstellung zwei Räume an, in denen die Auswahl der Werke so gestaltet ist, dass das jeweilige Konzept für den Besucher leicht nachvollziehbar ist. Schon durch einen kurzen Blick begreift man, dass in dem einen Fall sehr spielerisch mit dem Schönheitsempfinden umgegangen wird, in dem anderen Fall jedoch das eigene Empfinden herausfordernde Werksbegegnungen erwarten. So übermitteln die farbenfrohen, von Erfindungsgeist und fast ein wenig kindlicher Phantasie sprühenden Werke im linken Raum ein harmonisches, fröhliches Konzept von Schönheit. Die Idee, die man hier antrifft, erscheint bejahend in Hinblick auf einen positivistisch aufgefassten Schönheitsbegriff, in dem das Locker-Leichte willkommen ist.
Stefan Löffelhardts von der Decke bis knapp über dem Boden schwebende Installation ,,Cloud“, bestehend aus einzelnen aus verschiedensten Materialien, Bastelstoffen und Fundstücken zusammengesetzten, brockenartigen bunten Inseln, welche einem wie kleine Bühnen für skurrile Geschichten erscheinen, ist allein schon durch seine Dimensionen das den Raum dominierende Kunstwerk. Und es ist trotzt seines harmlosen, absurden Charakters grenzwertig. Denn die Fröhlichkeit dieser Phantasiewelt aus Styropor, Plexiglas, Dekorblumen, Wurzeln, Möbelstücken, Weihnachtskugeln und Plastikflaschen, um nur ein paar Bestandteile zu nennen, befindet sich im Ausdruck gefährlich nah an Klamauk und Kitsch. Das Werk ist eine Herausforderung für das eigene Ästhetikverständnis, denn Kunst darf niemals naiv sein – oder doch? ,,Cloud“ hat eine sehr eigene Schönheit, die aber eng vom eigenem Geschmack abhängt. Um sich authentisch innerhalb der Dimensionen des Schönheitsbegriffes bewegen zu können, muss man seinen eigenen Standpunkt genau kennen.
Dieser spielerische, juvenile Aspekt wiederholt sich im Bilder-Triptychon ,,Electric Ladyland“ von Michaela Melián, auf dem wie in feiner grauer Linie gezeichnet vor drei unifarbenen rosa, gelben und blauen Hintergründen weibliche, roboterähnliche Superheldinnen erscheinen. Die comichaften und trotzdem eleganten Szenen sind tatsächlich auf Leinen gedruckt, was den Bildern eine feine Transparenz verleiht. Dem Werk gegenübergestellt ist, die Farbtöne aus ,,Ladyland“ perfekt aufgreifend, eine geometrische Malerei von Ivo Ringe zu sehen. Das Muster aus puderrosanen und gelben Dreiecken aus Pigmenten auf grau-bläulichem Grund ist wahrscheinlich durch eine Art Siebverfahren mit Schablonen entstanden. Maik und Dirk Löbbert haben angelegt an eine der berühmtesten Schönheitsbefragungen unseres literarischen Erbes zwei runde Spiegel in der Ausstellung montiert, von denen einer einem hier in einer Ecke zwischen den beiden Gemälde-Positionen begegnet. Auf einmal ist es der Betrachter, der sich dem Blick in den Spiegel nicht entziehen kann und sich in immer neuen Posen fragt, welchen Anblick oder welche Erkenntnis der Blick in den Spiegel hier vermitteln soll. Die so farbenfroh erscheinende Werkszusammenstellung ist so voller Tricks. Die harmonisch-fröhliche Weise, über die sich die Werke vermitteln, konfrontiert den Betrachter mit einer schwierigen Frage: darf Schönheit auch banal sein, wenn sie mir eben so gefällt?
Wenn man ,,Schönheit“ in der Kunst tatsächlich begegnen oder erfassen möchte, dann muss man aus seiner ästhetischen Komfortzone raus. Diese Botschaft simuliert die Werkszusammenstellung im anderen großen Ausstellungsaal, in dem ein subtiles Schönheitsempfinden ins Zentrum gestellt wird, zu dem man erst durch den Umweg des Bewältigens von unbequemen oder sogar leicht morbiden Eindrücken gelangt. Eine ephemere Installation von Karla Black in Gestalt eines weißen zarten gebauschten Stoffes, der wie ein Bettlaken an Schnüren von der Decke hängt und so zentral platziert ist, dass man sich für einen Blick auf die anderen Werke darum herum drängen muss, gibt wie die lustigen Planeten von Löffelhardt zuvor den Ton im Raum an. Durch dieses schwebende Ding, welches das Licht verschluckt, bekommt der Raum direkt eine leicht gespenstische Atmosphäre, welche in den anderen Positionen, Fotografien, eine Zeichnung, eine Bild-Skulptur, eine Tonvase und eine großformatigen Collagen-Malerei, aufgegriffen und weiterverstärkt wird.
So zeigen Laurenz Berges Fotografien vertrocknete Pflanzenreste wie Blumen oder Samen vor abgenutzten Laken und Tapeten. Die Aufnahmen erscheinen so düster, dass sie wie zufällige Aufnahmen aus einem lange verlassenen Haus erscheinen. Obwohl sie auf nichts Konkretes anspielen, tragen sie einen Anschein von Verfall mit, der sich unangenehm anfühlen kann. Dieses unbehagliche Gefühl, das niemals plakativ in den Werken angelegt ist, vermittelt auch die Zeichnung eines gefesselten, ausgestopften Äffchens mit zugenähten Augen und Lippen von Kiki Smith . Bezeichnender Weise ist der Titel des Bildes dieses wohl ziemlich leblosen Affen ,,Immortal“. Dem Affen geht es also gut, aber warum uns nicht? Stefan Vogels malerisch komponierten Collagen-Werke aus verschiedenen überlagerten Stoffen und gefundenem Material wie Teebeuteln, Kreuzworträtseln oder Textilresten, bezeichnet mit Fäden oder Tusche, findet man entweder schön, weil man das Eklige nicht sieht, oder eklig, weil man im Ganzen das Schöne nicht mehr erkennen kann. Der harmonische Farbausdruck in Beige, Schwarz und Grautönen sowie die graphischen Elemente verleihen den Werken eine poetische Schönheit, die einen über andere gröbere Details hinwegsehen lässt. Aber auch das hängt ganz von der Einstellung des Betrachters ab, dem es selbst überlassen ist, ob er für den am unteren Bildrand angebrachten Spruch ,,...und Du stirbst in einem Bett von Ikea“ noch Humor aufbringen kann.
Dieser recht eindeutig Tod und Sterblichkeit aufrufende Spruch führt einen zu einer Überlegung, der man selbst direkt misstraut. Stehen alle Werke dieses Raumes im Bezug zum Thema Vergänglichkeit, der Überzeugung, dass man dieser bitteren Endlichkeit des Lebens trotzt allem noch ein Stück Schönheit abgewinnen kann? Eine kleine skulpturale Arbeit aus patinierter Bronze von Michelle Grabner, in deren Oberfläche wie mit einem Kamm feine Linien gefurcht sind, bringt durch ihr leuchtendes Türkis und die reizvolle Haptik wieder ein lebendiges, Zuversicht spendendes Moment in den Raum, das einen daran zweifeln lässt, ob man sich hier wirklich im Raum der Schönheit des Todes befindet. Anne-Marie Bonnets Konzept von Schönheit beziehungsweise deren Erfahrung verwehrt sich solcher Klischees. Wenn der Besucher meint, solche typischen Beispiele zu erkennen, dann sieht er sich wie in Löbberts Arbeit nur selbst im Spiegel. Dieser Raum mit seinen schwierigen Werken entzieht sich erneut eines klar definierten Schönheitsbegriffes. Er zeigt auch nicht, was die Kuratorin, die alles diese Werke persönlich ausgewählt hat, schön findet, sondern regt dazu an, sich der eigenen Sensibilität bewusst zu werden.
Was soll der Besucher also in Schönheit!? erkennen, wenn es gar um eine Definition oder Verständnis geht? Ein in der Ausstellung mich wirklich treffender Moment war, als eine Mitarbeiterin mir verriet, die düsteren Fotografien von Laurenz Berges mit den verrotteten Blumen wären ihre Lieblingswerke, sie fände gerade das Morbide daran schön. Nein, das ist gar nicht mein Fall. Jedoch musste ich auch eingestehen, dass ich bis zu einem gewissen Punkt ihr folgen konnte. Nur überfordert diese Ästhetik des Vergänglichen mein Schönheitsempfinden. Schönheit sehen wir nicht, wir fühlen sie. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir die Regeln, nach denen wir manche Dinge schön finden und andere nicht niemals ganz verstehen werden, weder bei uns noch bei anderen Mitmenschen. So wird das Gespräch über die Schönheit auch zu einer Übung in Toleranz, des sich selbst mit seinen eigenen Überzeugungen Zurücknehmens und den Vorstellungen des Anderen Raum zu geben, an der es in der heutigen Zeit so oft fehlt.