MAJNOON FIELD - Rheim Alkadhi—Temporary Gallery

Majnoon Field ist ein Ort, den es eigentlich so gar nicht geben dürfte. Das Ölfeld im Irak ist eines der reichsten Vorkommen der konfliktgeplagten Region, die Umgebung ist auf Kilometer verpestet, von den Giftstoffen der Ölförderung und den Waffenrückständen, Überbleibsel der zahlreichen Kriege, die die Gegend getroffen haben. Die interdisziplinär arbeitende amerikanische Künstlerin und Tochter irakischer Eltern Rheim Alkadhi, welche auf poetische Weise neue Sehgewohnheiten für die unsteten Themenkomplexe der Gegenwart entwickelt, will diesen unwirklichen Schauplatz Majnoon Field für uns erfahrbar machen, nimmt dabei aber von Abstrahierungen und Übersetzungen des Ortes und seiner Probleme bewusst Abstand. Unter Rückgriff auf das Medium der Skulptur entwirft Rheim in ihrer ersten Einzelausstellung in Europa für den Betrachter einen intermedialen Ansatz verfolgend und mit Einspielung von ihr in Majnoon Field selbst gesammelter Materialien eine sich vom Boden der irakischen Erde aus aufbauende und im Raum entwickelnde Szenerie. Der so von Rheim ins hier und jetzt transportierte Ort ist weder als Dystopie noch Modell gedacht, sondern fungiert als Denkanstoß: gegeben man wäre tatsächlich dort – welche konkreten Handlungs- und Verhaltensweisen stehen überhaupt noch zur Verfügung, mit denen man die Unwirklichkeit dieses vergifteten Ortes bewältigen könnte?

In ,,MAJNOON FIELD“ tritt man in eine bizarre Welt ein von Installationen aus industriellen Materialien, Baustoffen und Schrottresten. Fragile Palmenblätter aus Draht und Eisen hängen mit getrockneten Datteln bestückt von der Decke (,,Date Palm Grove“). Auf einer auf dem Boden ausgebreiteten abgenutzten Industrieplane tanzen rötliche zerrissene Metallfragmente wie Flammen (,,Harvest of Flames“). Auto- und Baustoffteile, wie Frontlichter oder Schläuche und Stoffe, sind mit anderen Dingen zu eigenartigen Gerätschaften arrangiert (,,Queer Assemblages“). Ein Gebilde, in dem man Tierknochen, Glasbehälter und Flüssigkeiten entdeckt, erinnert an ein alchimistisches Labor (,,Irrigation Device for Earthworkers“). Auf was man hier trifft, wirkt brachial, aber auch zerbrechlich, Zerstörerisches und Schöpferisches sind auf eigenartige Weise miteinander verbunden. Eine Reihe silberner, abgenutzter Kunstfingernägel ist an der Wand angebracht, als stammten sie von einem Wesen, das dort in der vergifteten Erde schart (,,Harvesting Implements“). Von wem oder was auch immer diese Nägel stammen, im Rundgang durch diese in Installationen überführten, teils aus dort aufgelesenen Materialien zusammengestellten Orts-Zitate aus Majnoon Field wird schnell deutlich: ein menschliches Leben, Denken und Handeln ist an diesem Ort kaum möglich.

Rheims in der Temporary Gallery entwickeltes Werk zeichnet sich dadurch aus, abstoßend wie anziehend zu wirken, ohne in die Sackgasse einer unheimlichen Raumcollage aus gebrauchten und geschundenen Objekten zu geraten. Und obwohl dieser Grusel-Effekt in Teilen vorhanden ist – denn wir wissen von den schadstoffbelasteten Datteln aus dem Gebiet, der kontaminierten Erde und Flüssigkeiten in den Werken – meint man dennoch etwas Anderes, Tieferliegendes, vielleicht nur in unserer Wahrnehmungsweise schwer zu Bennenendes darin zu erkennen. So sind es auch nicht wir, die mit den zersplitterten und abgenutzten Werken gemeint sind, denn die Künstlerin bringt hier die ,,Earthworkers“ ins Spiel, Individuen, die sich an diesem unwirtlichen Ort aufhalten, all das in die Hand nehmen, was wir nicht anfassen können oder wollen, und zu neuem Leben erwecken. Es sind die Taten und Verrichtungen dieser ,,Erdarbeiter“ und deren unmittelbarer Lebensraum, von denen die Werke erzählen. Und obwohl vieles davon phantastisch erscheint, nimmt diese Idee einer Existenz von Leben in dem unwirtlichen und verseuchten Gebiet den Werken und schließlich dem Ort  Majnoon Field seine Unnahbarkeit. Nicht seine Problematik, sondern sein Gefühl, die so schwer zu fassende Aura von Majnoon Field, in der ja Alles wie ein feiner Staub in der Luft vorhanden ist, was man als lange belehrende Liste seiner geopolitischen, sozialen, ökologischen Implikationen aufzählen könnte, steht im Zentrum.

Aufsammeln, verarbeiten, abkratzen, reinigen, auf eine andere Ebene transformieren, das scheint die Welt der ,,Earthworkers“ zu sein. ,,Handstiefel, um auf dem Kopf zu Laufen“, ,,eine Unterwäsche mit aufgedruckter Karte der Sümpfe“ oder ein ,,Schlauch, der kein Wasser spendet“ erscheinen für sie genauso wenig befremdlich wie ein mit Knochen versehenen Trichterapperat aus einem weiblichen Uriniergerät, der zur Bewässerung gedacht ist. Ernährung spenden blaue an Astronautennahrung erinnernde Zuckerkracherbälle, ,,Electric blue Gobstoppers“,wie Perlen in eine PVC Schnur eingelassen. All das strahlt wie auch der stählerne Palmenhain mit seinen nicht essbaren riesigen, durch ihr unnatürliches Orange gummiartigen Datteln eine eigene, rustikale Schönheit aus. Organisches Material wie Flüssigkeiten und Knochen sprechen nicht nur von Verseuchung, sondern Wiederbelebung, das Leben der Erdarbeiter dort erscheint karg, aber nicht aussichtslos, die Erdarbeiter schuften unablässig, aber sie nehmen dabei nicht alles so ernst und fatal, wie wir es an diesem Ort würden. Sie bleiben unsichtbar, aber scheuen sich nicht vor Kontakt, in einer Audioinstallation hört man, wie sie im klangvollem Arabisch sich mit ihren Namen vorstellen (,,Makeshift Auditorium“). Den überwältigenden Anteil der Stimmen machen junge Frauen aus, außer dem Namen, dessen Nennung begrenzte und unzuverlässige Schlüsse auf Persönlichkeit und Alter zulässt, bleiben die ,,Erdarbeiter“ in ihrem Wesen im Verborgenen.

In einem neunminütigen Video gibt die Künstlerin auch einen Einblick in die Ortsverhältnisse von Majnoon Field wie sie sich mit der Kamera dokumentieren lassen. Durch ein wackliges Handkamerabild, das in großen Teilen mit der Linse auf den staubigen Wegen der Gegend rund um das Ölfeld verhaftet bleibt, nimmt Rheim den Betrachter mit in das zerfurchte und vergiftete Gebiet. Eine weibliche Stimme, es lässt sich mutmaßen, dass die Künstlerin hier spricht, kommentiert jedes einzelne Plastikfragment, was es auf der erdigen Schneise zu sehen gibt. Für den Betrachter kaum identifizierbar aber unanzweifelbar vorhanden weißt die Stimme auf gelbe Sulfur-Fützen und Salzrückstände entlang der staubigen Piste hin. Mal schwenkt die Kamera auf Tiere, Felder und Palmen, die sie ebenfalls nüchtern typologisiert. Die nur für Bruchteile vor der Kamera erscheinenden Menschen, die durch das menschenleere und and den Bilder der korrodierenden Erde erkennbar verseuchte Gebiet führen, das sind die ,,Earthworkers“. In beiläufig durch die Kommentatorin erwähnten Details bricht die Tragik dieses Ortes voll hindurch. Bei der Anreise auf dem Boot wiederholt sie einen ihr gegebenen Hinweis, das an einer Siedlung entlangführende Flusswasser nicht zu berühren, eine Kappe von einer Plastikflasche bestimmt sie akribisch als ,,blauer Plastikverschluss einer Flasche einer amerikanischen Firma“.

Weiß der Betrachter nach diesen Bildern, wie es jetzt tatsächlich in Majnoon Field aussieht? Der Film, so dokumentarisch er erscheint, ist nicht als Bestätigung der Authentizität der Werke gedacht. Er stellt nur eine weitere Möglichkeit der Aufnahme des Ortes dar, eine Methode, die wie die Erdarbeiter eng auf dem Boden verhaftet, mehr aufliest als aufnimmt. Wenn man einmal einen bildlichen Eindruck von dem Gebiet erhaschen konnte, so merkt man, dass in MAJNOON FIELD diese Kameraaufnahmen und die von den Verrichtungen und dem Lebensraum der fiktiven Erdarbeiter zeugenden Werke sich nicht in einem interpretativem oder berichtendem Verhältnis befinden, sondern eine gemeinsame Wahrheit aussprechen. Es ist die Wahrheit der bloßen Existenz von Majnoon Field auf dem Erdboden, welche alle Blickwinkel, von denen man meint die ,,Problematik“ des Ortes aus erfassen zu können – geopolitisch, ökologisch, kapitalismuskritisch – verfehlen. MAJNOON FIELD ist ein kleiner Anstoß, dass wir nicht noch mehr Diskurse brauchen, in denen die Sprecher sich über die ungreifbaren Komplexitäten unserer Zeit immer weiter verschleifen, sondern konkrete, von der Materie ausgehende und in diese eingreifenden Werkzeuge und Handlungsweisen. Wie abstrus die Verrichtungen der Erdarbeiter auch erscheinen, stellen diese als eine von Rheim entworfener Form von Orts-Empowerments ein ermutigendes Konzept dar. Der Konflikt zwischen den als marginal gehaltenen Lokalen und den eingriffsmächtigen, aber letztendlich handlungsunfähigen Globalen kommt für einen Moment zum Stehen. Rheims Werk erzählt von der Hoffnung, dass die kleinsten Taten heilen können. In MAJNOON FIELD, wie auch überall sonst, besitzen wir noch immer die Macht, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

 

 

Rheim Alkadhi: Majnoon Field, 2019  |  Photo by: Tamara Lorenz, 2019

Rheim Alkadhi: Majnoon Field, 2019  |  Photo by: Tamara Lorenz, 2019

Rheim Alkadhi: Majnoon Field, 2019  |  Photo by: Marina Sammeck

Rheim Alkadhi: Majnoon Field, 2019  |  Photo by: Tamara Lorenz, 2019

Rheim Alkadhi: Majnoon Field, 2019  |  Photo by: Tamara Lorenz, 2019

Rheim Alkadhi: Majnoon Field, 2019  |  Photo by: Marina Sammeck

Rheim Alkadhi: Majnoon Field, 2019  |  Photo by: Marina Sammeck

Rheim Alkadhi: Majnoon Field, 2019  |  Photo by: Tamara Lorenz, 2019