TALK TO ME - OTHER HISTORIES OF NATURE —Temporary Gallery

Der Begriff „Natur“ ist heute zu einem Wohlfühlwort geworden. Ein komplexes System, dessen physischer und biochemischer Teil wir sind, wird zu einem Ort für Eskapismus umgedeutet. Unser Verlangen nach Idylle bringt uns dabei ausgerechnet an solche Orte, die zunehmend durch unseren Lebensstil belastet werden. Ein unbequemer Gedanke. Eine Ausstellung der Temporary Gallery TALK TO ME – OTHER HISTORIES OF NATURE in Köln begibt sich auf die Suche nach Hinweisen, warum wir diesem Dilemma nicht entkommen können. Wie die Künstler*innen argumentieren, hat das vollständig objektivierte Verhältnis zur Natur, das immer nur den menschlichen Blick von Außen zulässt, diese Misslage verursacht. Diese Praxis des Sehens und Verstehens ordnet alles minuziös ein, benennt und kategorisiert, aber er lässt nie einen Impuls, eine Schwingung oder Stimme aus der Gegenrichtung zu. In einem breiten Sektrum von Medienformen entwirft TALK TO ME  künstlerische Strategien, die eine Annäherung an Ökosysteme und Lebewesen jenseits der klassischen Dichotomie Mensch-Natur erlauben. Die Agency, sich selbst mitzuteilen, müssen die Besucher*innen hier an die nicht-menschlichen Sprecher*innen abgegeben.

Entstanden ist das Projekt in Zusammenarbeit von Student*innen, Forschenden und Alumni des Transmedialen Raume der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM). Ausgehend vom Beispiel des Naturkundemuseums untersuchen die Positionen die künstliche Distanz, die zwischen Lebewesen als Objekte einerseits und dem Menschen als Betrachter*in auf der anderen Seite in institutionellen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontexten aufgebaut wird. Indem neue Modi der Erfahrung und des Verstehens der Natur vorgeschlagen werden, lösen die siebzehn Positionen das objektifizierte Tier oder Naturelement aus der Kette von Erkenntnissen heraus, die es in menschengemachte Wissensordnungen und Sehgewohnheiten einbettet. Eine der Arbeiten, die dieses Verhältnis zwischen dem Mensch-Betrachter, der auf das Tierische als Objekt schauen darf, am nahsten zum Ansatz der Ausstellung untersucht, ist die Filmarbeit Koenig der Tiere von Lisa James. Die Künstlerin hat einen 16mm Film von den Dioramen im Naturkundemuseum Koenig in Bonn gedreht, in dem sie nahezu detektivisch die jeweilige Spezies untersucht, die ausgestopft in mit Pflanzen dekorierten Glaskästen gezeigt wird, die ihr natürliches Habitat nachahmen. Neben den Nahaufnahmen der präparierten Tiere werden Informationen eingeblendet, welche über die Herkunft des Tieres, dessen Weg in die Sammlung und den Erhaltungszustand der Art informieren. In ihrer neutral gehaltenen Untersuchung macht die Künstlerin so deutlich, dass die Geschichte dieser Tiere längst noch nicht vorbei ist. Ihre Filmarbeit vermittelte eine vage Vorahnung, dass das menschliche Bedürfnis, Tiere einer Ordnung zu unterwerfen, auch unser Schicksal verändert.

Diesem Gedanken, dass selbst in einer unterwerfenden Form von Auseinandersetzung mit dem Tierischem auch immer eine Annäherung stattfindet, geht Thomas Hawranke auf fast humoristische Weise in seinem Video Wild Man has a soft Lure nach. Hawranke hat sich in die Szene amerikanischer Jäger und Jagdexperten begeben, die lebensechte Wildvögel-Imitate wie kanadische Gänse oder Enten aus Kunststoff herstellen und verwenden. Eine riesige Branche, deren Erzeugnisse das Verhalten der Tiere in eine für den Jäger günstige Weise steuern soll und in der „echte Kerle“ durch ihre genaue Beobachtung und Imitation des Verhaltens der Wildtiere am Ende mit diesen fusionieren. Auf eine ganz andere Form von Spurensuche begeben sich die Künstler Pascal Marcel Dreier und Anton Linus Jehle in den Tiefen großer, vom Menschen kanalisierter Flüsse, der Themse und dem Rhein. Mit Knochenfragmenten aus dem Schlamm der Themse, die wie in einer archäologischen Ausstellung ordentlich aufgereiht sind, und den als Trophäe aufgehängten Lenker eines versenktes E-Rollern (We are Climate neutral), die zu hunderten bei Köln auf dem Grund des Flusses ruhen, präsentieren Dreier und Jehle jeweils sehr unterschiedliche Relikte aus den Flüssen. In der Präsentation dieser zivilisatorischen Artefakte spiegelt sich unsere instabile Beziehung zu den Flussläufen, die zwischen Naherholungsgebiet, Ökosystem, Müllkippe und Schifffahrtsgewässer gespalten und zutiefst uneindeutig ist.

Von dieser großen Unregelmäßigkeit und inneren Dissonanz ausgehend, die unser Verhältnis zur Natur ausmacht, das auf eine unsichtbare Weise auf den Menschen zurückwirkt, entwerfen andere Arbeiten sensorische Ansätze, die ein unvoreingenommenes Lauschen und Erfahren der Natur erlauben sollen. Angelehnt an die Morphologie von Moosen des Ökosystems Páramo in Kolumbien hat Jazmín Rojas Forero den Charakter „Bryophyta“, einen Mensch-Pflanzen Hybrid erschaffen. Besonders an diesem Wesen sind dessen röhrenförmigen Hörvorrichtungen, die von Makroaufnahmen der Organe der Moose inspiriert sind und hier modellhaft aus Keramik und Glas nachgebildet sind. Ein sanftes Plätschern von Wasser, das ihnen entströmt, weißt auf deren Funktion hin, eine neue Art der Wahrnehmung  zu ermöglichen, bei welcher der Mensch selbst Teil seiner Umgebung wird. Dieses Prinzip einer kompletten Reformierung der sinnlichen Haltung gegenüber der Natur, die mit bisherigen Ansätzen bricht und neuartige Kanäle des Zugangs erschließt, verfolgen auch Corinna J. Duschl und Katharina Mönkemöller in ihren Theorien, die sie in Booklets präsentieren. Während Duschl anhand ihres Modells der „tentakulären Körper“ ein neuartiges sensorisches Verhalten entwirft, das durch die (metaphorische) Entwicklung neuer, hypersensibler Organe eine komplette Wandlung des physischen Verhältnisses des Menschen zur Natur impliziert, geht Mönkemöller mit Traueranzeigen auf Litfaßsäulen, die das Verschwinden von Kastanienbäumen anzeigen, einer Form des „ökologischen Trauern“ nach. Diese öko-soziale Bewegung versucht eine gemeinschaftlich geteilte Trauerkultur für das (Aus)streben von Lebewesen und Lebensräumen zu etablieren. In ihrer Publikation kombiniert die Künstlerin dabei Verweisen auf gefährdete Tierarten mit der Aufführung von Kunsthandwerken, die vom verschwinden bedroht sind.

Durch die subtilen Dezentralisierungen, die sie an der Position des Menschen im Gefüge „Natur“ vornehmen, sind die Arbeiten in TALK TO ME – OTHER HISTORIES OF NATURE der gewohnten Sichtweise der Betrachter*innen oft einen Schritt voraus. Wie in der Fotoserie The Skin of Species, die Kihuun Park auf Erkundungstour durch Korea geschossen hat und in der sich zugleich beiläufige wie auch markant porträtartig wirkende Aufnahmen streunender Katzen, domestizierter (Speise)fische mit fragmentarischen Mensch-Tier Begegnungen mischen, ist im Aufeinandertreffen der Spezies oft eine eigene Logik am Werk. Was Park als Schnappschüsse flüchtiger Beziehungen in der Welt der Lebewesen bezeichnet, hat aber noch eine viel tiefere, irgendwie unergründliche Ebene. Dieser Unergründlichkeit begegnet man auch in Yve Ohs Soundinstallation In the Memories of Rivers,  die eine Synthese spezifischer Sinneseindrücke und Erfahrungen ist, die die Künstlerin auf ausschweifenden Wanderungen entlang der Ufer großer Flüsse, unter Anderem des Rheins gemacht hat. Oh erkennt im Fluss als Naturkraft einen Wissensspeicher jenseits von Raum und Zeit, der mit ihrem Schicksal verbunden ist und mit dem sie versucht, sich durch die Methode des Gehens und der Anwendung seiner 5 Sinne sich wieder zu verbinden.

Haben wir Menschen vielleicht die Weltwahrnehmung der Tiere unterschätzt? Diese Frage drängt sich zwischen den Positionen immer mehr auf. Sie wird vor allem in der Videoarbeit The Backpack of Wings: Modern Mythology von Hyeseon Jeong und Seongmin Yuk betrachtet, in der die Künstler*innen eine futuristische, hypertechnoide Welt entwerfen, in der eine riesige Firma über gigantische Rechensysteme und Datenspeicher die Sinnesfähigkeit von Tieren nutzt, Naturkatastrophen vorhersagen zu können. Dabei wird man immer wieder zu einer Art Brunnen im Zentrum der Serverlandschaft geführt, der aus Drachen besteht, die Perlen aus ihren Mäulern in Froschmünder gleiten lassen und an die ostasiatische Mythologie angelehnt ist, die Tieren eben diese voraussagenden Kräfte zuschreibt.

Die Künstler*innen von TALK TO ME – OTHER HISTORIES OF NATURE zeigen alternative Wege der Annäherung im Verhältnis zwischen Mensch und Natur auf, ohne dabei mit einer neuen, human-zentrierten Theorie aufzukommen. Vielmehr knüpfen die Positionen ein Netz von Ausgangspunkten für eine erweiterte Erzählung, die von der Natur ausgeht und die vielleicht irgendwann verbunden werden können. So etwas romantisiertes wie die Stimme der Natur hörbar zu machen, ist ganz klar nicht Ziel der Ausstellenden. Und doch schärfen die Arbeiten die Wahrnehmung für die Lautstärke, mit der wir in unserem Anspruch allumfassender Erkenntnis gegenüber der Natur all jene komplexen Signale und Schwingungen übertönen, von denen wir eigentlich gar nichts verstehen.

TALK TO ME - OTHER HISTORIES OF NATURE, 2022. Installationsansicht  |  Foto: Jiha Jeon

Jazmìn Rojas Forero. Bryophyta. TALK TO ME - OTHER HISTORIES OF NATURE, 2022  |  Foto: Jiha Jeon

Kihuun Park. The Skin of Species. TALK TO ME - OTHER HISTORIES OF NATURE, 2022  |  Foto: Jiha Jeon

Lisa James. Koenig der Tiere. TALK TO ME - OTHER HISTORIES OF NATURE, 2022  |  Foto: Jiha Jeon

Thomas Hawranke. Wild Man has a soft Lure. TALK TO ME - OTHER HISTORIES OF NATURE, 2022  |  Foto: Jiha Jeon

Hyeseon Jeong, Seongmin Yuk. The Backpack of Wings: Sensory Networks. TALK TO ME - OTHER HISTORIES OF NATURE, 2022  |  Foto: Jiha Jeon

Katharina Mönkemöller. „Dann kommen ja die grünen Vögel nicht wieder, wenn die Kastanien weg sind“. TALK TO ME - OTHER HISTORIES OF NATURE, 2022  |  Foto: Jiha Jeon