Andreas Schmitten - Skulpturen —Skulpturenpark Waldfrieden

Glänzende Oberflächen, strahlend weißer Lack und zarte Glieder, die sich um beckenartigen Vertiefungen schlingen. Wer Andreas Schmittens neuster Werksseserie im Skulpturenpark Waldfrieden begegnet, meint, in die cleane Welt des Bades einzutreten. Was auf den ersten Blick unglaublich stylisch und verfeinert erscheint, löst bei genauerer Betrachtung, wie viele der Skulpturen des Künstlers, widersprüchliche Eindrücke aus, die leicht verstören. Durch ihre Glattheit rufen die Arbeiten die  Bedeutung von Sauberkeit, Reinigung und Hygiene ins Gedächtnis, die in der Pandemie-Situation das alltägliche Leben völlig übernommen haben. Auf humorvolle Weise scheinen die eleganten Skulpturen auf die Besessenheit mit der Gestaltung des perfekten Badezimmers anzuspielen, die in den letzten Jahren zum Trend geworden ist. In Schmittens Skulpturen spiegeln sich damit sowohl Fetische, Faszination als auch Ängste.

Andreas Schmittens skulpturale Installationen spielen mit Strategien ästhetischer Inszenierung, wie sie aus der Werbung oder dem Theater bekannt sind. Sie bestechen durch eine Makellosigkeit, die gleichzeitig anziehend und abweisend ist. Die augenscheinliche Funktionalität seiner Objekte steht im Kontrast mit ihrem abgehobenen, nahezu majestätischen Aussehen, das den Zweck dieser amaturenhaften Körper letztendlich verschleiert. Auch wenn seine Werke in ihrer Struktur dem Anschein nach  die modularen Systeme von Designermöbeln aufgreifen, bleiben sie Artefakte einer fremden Zivilisation. Ihre Perfektion verleiht ihnen bisweilen einen sakralen Charakter.

Assoziationen des Religiösen spielen auch eine gewisse Rolle bei den in Waldfrieden zu sehenden Skulpturen. Schließlich hat das Baden oder die Reinigung, an die man hier bei den vielen Becken, die zu sehen sind, denken muss, auch eine rituelle Komponente. Die größte der Skulpturen, die aus zwei riesenhaften angewinkelten Armen besteht, deren Hände in ein solches Waschbecken münden, streckt einem ein Schale entgegen, als würde es sich um einen heiligen Gegenstand handeln („Die Andere“, 2021). Auf dieses überwältigende Objekt geht man als erstes zu, wenn man die Ausstellungshalle betritt. Nicht alle der gezeigten Werke sind so groß, doch manche verschlagen einem durch ihre gigantischen Dimensionen den Atem. Auf einem ovalen Stahlsockel sind zwei schlanke Beine platziert, die sich in einer lässigen Haltung befinden, die Füße überkreuzt. In deren Mitte befindet sich wieder ein Becken, dieses Mal in den Maßen einer Badewanne, das, wie bei allen anderen Arbeiten, fließend in die Physiognomie übergeht. An der Stelle, wo die Beine vom Rumpf abgeschnitten sind, befindet sich eine Leuchtröhre, die suggeriert, es handele sich um einen benutzbaren Gegenstand.

Durch ihre schlanken Formen und glänzenden Oberflächen wirken die Skulpturen unglaublich leicht, doch tatsächlich bestehen sie aus Bronze. Wer, wie der Gastgeber und Eigentümer des Parks Tony Cragg, sich traut, an ihnen zu klopfen, hört einen metallernen holen Klang. Dennoch fällt es schwer, sich von dem Eindruck zu lösen, es handele sich um Porzellan. Denn dem Künstler ist es perfekt gelungen, die Anmutung von glasierter Keramik zu erzeugen. Wie in vielen Werken zuvor entpuppt sich Schmitten hier als Meister der Illusion. Und es kommt in dieser Ausstellung öfters vor, dass man sich nicht sicher ist, ob man sich in den Dingen, die man sieht, nicht einer Täuschung unterliegt. So erkennt man erst von ganz nah, dass ein vertikal aufgerichtetes, ovales Becken, das auf ein Sockel steht, tatsächlich von zwei Armen umschlossen wird, deren Hände sich am oberen Rand treffen („Die Andere“, 2021). Und bis man nicht direkt davor steht, kann man nicht recht glauben, dass es bei einer ähnlichen Skulptur zwei grazile Füße sind, die sich, kopfüber in der Luft schwebend, am spitzen oberen Ende einer weitern Schale entgegen neigen. Wie bei dem anderen Objekt, bei der eine Wanne das (physiologische) Becken ersetzt, ist der Name dieser Skulptur „Geburt“.

Während die körperlosen Glieder den Objekten etwas Lebendiges verleihen, sucht der Blick, die einzelnen Beckenformen, in Waschbecken, Badewannen, Bidets oder Pissoirs unterteilend, gleichzeitig immer nach der Funktionalität. Der lose, abgekoppelte Zustand der Arme und Beine irritiert, hat manchmal etwas Deprimierendes. So entsteht auch bei einer Serie in Glasvitrinen gezeigter, abnorm langer Arm-Paare, deren Hände sich beim Anreichen einer Schale begegnen und deren Biegungen scheinbar Buchstaben nachempfinden, kein Gefühl von Gemeinschaft („Der Anderen sich selbst“, 2022). Überhaupt prallt jedes Gefühl, was man den Skulpturen gegenüber empfindet, an ihrer glatten Oberfläche ab, wird von der Leere der Becken abgesogen, und verschwindet in der Tiefe ihrer Abflusslöcher. Bei aller Eleganz und Komplexität haben Schmittens Arbeiten auch etwas beunruhigendes Banales. Was hat den Künstler in diese kalte, unheimliche Welt verschlagen?

Wie Andreas Schmitten erzählt, sind  konkrete persönliche Erlebnisse während der Pandemiezeit in diese Serie eingeflossen. Die soziale Distanzierung und Isolation, in der man sich plötzlich befand, ist auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen. Besonders markant hat Schmitten das  Abstands- und Hygieneregime erlebt, das auf einmal menschliche Kontakte reglementierte. Objekte, die mit Reinlichkeit verbunden werden, traten so in den Fokus seines Interesses. Schmitten sieht etwas Verstörendes in der Tatsache, dass der Sauberkeitsbegriff, der eigentlich mit Wohlsein verbunden ist, im Lockdown zu einem übermächtigen Faktor  erhoben wurde, der das Zwischenmenschliche gnadenlos sanktionierte. In seiner seit 2021 entstandene Serie hat sich der Künstler das erste Mal der konkreten Darstellung von Körperlichkeit zugewandt und für sein Schaffen so neue Horizonte eröffnet. Auch diese Auseinandersetzung mit fragmentierten Körpern fügt sich in die Erlebnisse während der Pandemie ein.

Der Bereich der Reinigung, den der Künstler hier anspricht, hat jedoch nichts beruhigenderes mehr, sondern wirkt in seiner Kälte eher abweisend. Eine der größten, fast vier Meter hohen Skulpturen, die im Außenraum installiert ist, hat bereits etwas Bedrohliches. Das Objekt besteht aus einem Frauenkopf am oberen Ende, der auf Höhe der Oberlippe abgeschnittenen ist, und einer senkrecht aufgestellten Wanne, welche die Form eines Pissoirs nachempfindet. Diese Kombination hat etwas Obszönes, obwohl sie gar nicht behauptet, zu sein, was man als Betrachter*innen vielleicht in ihr sieht. In ihrer Synthese aus Menschlichem und Apparaturen erinnern Schmittens Skulpturen entfernt an die unheimlichen Mensch-Maschinen-Wesen des Science-Fiction Künstlers HR Giger (1940–2014).

Andreas Schmittens neue Werke eröffnen damit einen breiten Assoziationsraum, der von zutiefst ambivalenten Eindrücken geprägt ist. Seine persönliche Wahrnehmung der gesellschaftliche Situation überschneidet sich hier mit kollektiven Erfahrungen während der Corona-Pamdemie. Durch die Simulation einer glatten und makellosen, aber auch sterilen Welt des Bades dringt der Künstler in unser Unterbewusstsein vor. Indem er die soziale Ambiguität von Sauberkeit und Reinigung herauszeichnet, schafft Andreas Schmitten einen Zugang zu den verborgenen Ängsten und Traumata, die wir alle durchlebt haben. Und diese verdrängten Bilder erscheinen vor dem inneren Auge wieder, beim Blick in die Leere eines holen Beckens.

 

Anderas Schmitten, Das Andere sich selbst 2022  |  © Thomas Köster

Anderas Schmitten, Die Andere, Geburt 2021  |  Foto: Marina Sammeck

Andreas Schmitten, Skulptur Immaterielles 2021  |  © Thomas Köster

Andrea Schmitten, Geburt 2021  |  Foto: Marina Sammeck

Andreas Schmitten, Die Andere 2021  |  Foto: Marina Sammeck