Made in Düsseldorf #2 - Natascha Schmitten/Wolfgang Tillmans—Kunststiftung Stadtsparkasse

Landschaften, Augenblicke, Szenerien – in vielen Dingen entdecken wir gerne malerische Aspekte wieder. In der Kunst geht man jedoch bisher selten so weit, auch der Fotografie Grundprinzipien der Malerei zuzusprechen. Zu weit liegen die Techniken dieser Gattungen auseinander, zwischen denen fast phobisch getrennt wird. Woher eigentlich diese Strenge? Unter dem Leitmotiv, zwei mit Düsseldorf verbundene zeitgenössische Künstler*innen gemeinsam auszustellen, eine etablierte und eine aufstrebende Position, zeigt unter dem Programmnamen Made in Düsseldorf #2 eine Ausstellung der Kunst- und Kulturstiftung der Stadtsparkasse Düsseldorf im NRW-Forum, dass es möglich ist, die Grenze zwischen Malerei und Fotografie beiderseitig zu durchqueren.

Made in Düsseldorf schafft generations- und gattungsübergreifende Dialoge zwischen Werken der Sammlung der Stadtsparkasse Düsseldorf und jüngeren Positionen als Partner*innen um so einen Eindruck aus der großen Bandbreite des mit dem Kunst-Standort Düsseldorf verbundenen Kunstschaffens zu vermitteln. In der nun zweiten Version der Initiative sind in zwei getrennten, zum Teil jedoch auch Überschneidungen zulassenden Räumen im Obergeschoss des NRW-Forums zunächst im vorderen Bereich die durch ihre Dynamik bewegenden, auf Nylon gemalten und so eine hohe Transparenz erreichenden Werke der aufstrebenden Künstlerin Natasha Schmitten zu sehen und daneben die aus mehreren Einzelwerken bestehende fotografische Installation Düsseldorfer Raum 2001-2007 von Wolfgang Tillmans. Die auf den ersten Blick allein durch ihr Medium grundverschiedenen Positionen – sich mit der konkreten Umwelt befassende Fotografie und ungegenständliche Malerei – sind von der Kuratorin Katharina Grote unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt gegenübergestellt: eine die Werke durchziehende Neigung zur Abstraktion.

Behutsam, aber ohne Scheu werden zwei Positionen in eine Gegenübertretung gebracht, deren Begegnungskriterien Katharina Grote zusammen mit dem Studio Tillmans‘ und in Absprache mit Natasha Schmitten formuliert hat. Unter der Oberfläche angelegte, auf den ersten Blick gar nicht sichtbare aber in der Tiefe die Motivation der Werke bildende Eigenschaften erlauben das Ziehen von Parallelen, deren Erfahrung am Ende beim Betrachter liegt. Die beiden Positionen unterstützen sich in diesem Dialog gegenseitig. So wird die Begegnung einer fotografischen Position mit dem malerischen Werk Natascha Schmittens im wesentlichen von Tillmans‘ offenen und experimentellen Verständnis von Fotografie ermöglicht, das über den  Gedanken der Repräsentation und der objektiven Darstellung hinausgeht. Bei Tillman ist der abgelichtete Gegenstand nicht identisch mit dem Motiv des Bildes. Das Motiv bei Tillman ist werksübergreifend angelegt, es ergibt sich erst innerhalb größerer Werkskonstellation, zu denen er seine Fotografien zusammenstellt. Die Fotografien verharren nicht auf dem Dargestellten, sondern formulieren übergeordnete Gedanken, die Fotografien sind nicht Abbilder, sondern funktionieren wie Malereien als Bilder im weiteren Sinne.

Durch diesen Rückgriff auf eines der wesentlichen Ausdrucksmittel der Malerei, die Abstraktion, ist Tillmans‘ fotografisches Werk nicht weit entfernt von den gänzlich über die Lenkung des Auftrages von Farbe entstehenden Gemälden von Natascha Schmitten. Inspiriert von konkreten Momenten im Alltag beginnen auch Natascha Schmittens zwischen abstrakter Virtuosität und figurativen Andeutungen oszillierende Malereien mit einem Versuch des Festhaltens, der in der Intention fotografisch erscheint. Die mittelgroßen bis wandfüllenden Gemälde werden von großzügigen und im schwungvollem Duktus hauchdünn aufgetragenen Farbbahnen regiert, die sich wie Schleier oder Rauchwolken im Bild winden. Die Transparenz dieser sich überlagernden, sich selbst verfolgenden Windungen, erzeugt den Eindruck von Räumlichkeit im Bild. Die ephemeren Gebilde haben so einen haptischen Reiz, als könne man durch sie hindurch greifen. Zwischen dem Schwarz der Tusche und dem weißen Hintergrund blitzen immer wieder kräftige Farbakzente in Blau, Orange, Gelb und Magenta hervor. Durch den Auftrag von sich gegenseitig abweisender Ölfarbe und Tusche erzielt die Künstlerin den reizvollen Effekt einer Verschmelzung von einerseits scharfkantigen Bereichen und andererseits fließenden Flächen. Die so entstehende, feinmolekulare innere Dynamik verleiht den Bildern den Anschein einer Momentaufnahme aus einer sich in Bewegung befindlichen feinstofflichen Formation. Sie werden vor den Augen des Betrachters lebendig.

Stille Momente voller Leuchtkraft finden sich auch in den zwölf als Mittel- bis Großformat entwickelten Bildern Tillmans‘ Installation Düsseldorfer Raum 2001 -2007 wieder. Wie beiläufig ausgewählt Augenblicke und Anblicke – ein Sichtausschnitt aus einer mit Wasser benetzten Autoscheibe hinaus auf eine verregnete Straße, Pflanzenableger in Wassergläsern auf einem Fensterbrett, ein Muster aus Regentropfen auf der Jacke eines anonymen Mannes – mischen sich mit in die Materie der Fotografie vorstoßenden Bildern, in denen das fotografische Bild als Objekt erscheint. Wiederkehrende konzeptuelle Elemente, wie ein gleichschwingender Farbklang und das Ausschnitthafte, vereinen diese zunächst vom Gegenstand her grundverschieden angelegten Bildströmungen innerhalb der Rauminstallation. Ein wie mit dem Lineal durch die Kameralinse gezogener Rahmen, der etwas ganz bestimmtes hervorheben will, prägt solche die Fotografie als stoffliches Objekt behandelnden Werke, wie eine Serie aus drei Fotografien von durch eine hängende Fixierung sich entsprechend seiner natürlichen Physik nach unten knickendem weißen Fotopapier (,,paper drop (white) b/c/d“, 2004) ebenso, wie die aus Obersicht aufgenommene Fotografie einer von einer Blumenvase besetzten Tischecke, auf der sich stark das Licht der Kamera absetzt (,,Blumenfrau“, 2007).

In den von Tillmans bebilderten Räumen muss man lernen, Bilder nicht einzeln, sondern in Paaren oder Gruppen zu sehen, das Blickfeld muss sich weiten und eine Gleichzeitigkeit der Arbeiten zu lassen, wie man es von der Begegnung mit Malerei gewöhnt ist. Je mehr man die Stilleben oder Naturszenen und diejenigen Bilder, welche die Fotografie in ihrer Materie aufgreifen als Teile eines einzigen sich im Raum ausbreitenden Werkes betrachtet, desto weniger absolut erscheinen die gegenständlichen Fotografien in ihrer Darstellung. Man beginnt, über das vordergründig als Motiv Wahrgenommene hinauszudenken. In der häuslichen Szenerie von ,,Blumenfrau“ entdeckt man, dass nicht allein die vulkanartig aus den oberen Bildkanten hervorragende Blumenvase im Zentrum des Bildes steht. Den eigentliche Bildgegenstand könnte auch ein erst auf den zweiten Blick  am unteren Bildrand hervorstechendes gebrauchtes Gedeck aus einem beigen Teller, einem Plastikdeckel und einem blitzenden Messer darstellen. Ebenso in der Schwebe bleibt die Bildaussage in den Arbeiten, die Fotografien als eigenständige Objekte nach den Regeln ihrer Materie abbilden. Tillmans bedient sich einfacher Prinzipien des Abbildens, wie dem Schema des Bildes im Bild oder gängiger Konventionen wie der des Stillebens, und leitet den Betrachter dennoch auf völlig unerschlossene Territorien innerhalb der Fotografie.

Ein Blick zurück zu den gegenüber gehängten Malereien von Natascha Schmitten mit ihren wie durch einen plötzlichen Impuls gesetzten leuchtenden Farbakzenten zwischen den sich in ständiger Wandlung befindenden dunklen Farbnebeln, erlaubt einen frischen Blick auf das komplexe, mehrere Ebenen des Sehens einfordernde Werk Tillmans‘. Denn unter dem Gesichtspunkt der Rolle der Farbe und deren akzenthaften Setzung lassen sich deutlich Gemeinsamkeiten zwischen dem Düsseldorfer Raum und Schmittens Malereien erkennen. Denn farbliche Elemente spielen in Tillmans‘ Arbeiten eine malerische Rolle. Lichtverhältnisse und Bildausschnitt sind so gewählt, dass farbliche Kompositionen durch ihre Eindringlichkeit beginnen, das eigentliche durch die Linse aufgenommene Bild zu übernehmen. Gesehenes und Wahrgenommenes fallen so ein Stück auseinander. In ,,Layers“ (2002) sieht man Pflanzenableger wie Minzstängel oder ein Ginkoblatt in Wassergläsern auf einer Fensterbank, hinter den dumpfen Glasscheiben erscheinen verwaschen Häuserfronten. Was aber als Eindruck bleibt, das sind nicht die fotografierten Gegenstände oder der Ort an sich, sondern das leuchtend kräftige Rot des Ginko-Glases mit seinem Sonderauftritt als Skulptur, die Spiegelung dieses Rotes auf den Metallleisten des Fensters oder das dunkele, saphirfarbige Grün der wie mit Bedacht gesteckten, den Durchblick vergitternden Pflanzenblätter. Die ganze Szene nimmt den Betrachter durch das türkise Licht ein, in das Alles getaucht ist.

Farbe übernimmt so in Tillmans‘ Fotografien eine vom Gegenstand abstrahierte Rolle. Die Wiederentdeckung des leuchtenden Rotes des Wasserglases in ,,Layers“ in den neonrot leuchtenden, momenthaft gesetzten Farbakzenten in Bildern von Natascha Schmitten wie ,,Pruna“, ,,Supersaturation“ oder ,,El Segundo“, stellt daher mehr als eine rein optische Analogie dar. Malerische Elemente lassen sich überall in den Bildern von Düsseldorfer Raum 2001 – 2007 erkennen und es ist gerade diese Gegenüberstellung mit den eigentlich ganz anders anmutenden Werken von Natascha Schmitten, welche den Blick für den völlig autonomen Auftritt von Farbe und Licht in Tillmans‘ Werk öffnet. In ,,Blumenfrau“ sticht auf einmal deutlich das rötliche Licht hervor, in das die Fotografie der Tischecke eingetaucht ist und welches die gelben Blüten dramatisch in Szene setzt. Farbflächen wie mit Wasserfarbe gemalt staffeln sich hinter einer Windschutzscheibe (,,New Family“, 2001), an Batikmalerei erinnert ein Verlauf zwischen Dunkelblau und Rosa, der allein durch Unschärfe und Reflektion im Bogen eines zu einer Schlaufe geknickten belichteten Fotopapiers auf weißem Grund liegend entsteht (,,paper drop (Roma)“, 2007). So wird die Abstraktion zu einem Motiv in Tillmans‘ Werk.

Die Schärfung des Blickes durch das Seite an Seite Stellen der Werke Tillmans‘ und Schmittens geht nicht nur in eine Richtung.  Genauso wie Schmittens Werke Malerisches bei Tillman erkennen lassen, deckt auch der Blick von Tillmans‘ Arbeiten hin zu Schmittens Werk fotografische Aspekte in den abstrakten Malereien auf. Wie auch die Fotografie durch die Festhaltung von Licht auf dem Rohträger entsteht und erst durch die Entwicklung, die Belichtung sichtbar wird, arbeitet auch Schmitten in ihren Bilder über ein ähnliches optisches Umkehrverhältnis mit dem Prinzip des Negativs und Positivs. Die weißen Flächen im Bild entpuppen sich bei genauerem Hinsehen gleichzeitig als Vordergrund und Hintergrund. Was etwa in ,,Kryosphere“ (2019)den Ausschnitt bildet und was die Übermalung, ob die schwarzen bauschigen Wolken und blauen Flächenakzente sich im Vordergrund befinden oder ob das Weiß die eigentliche Bildfläche darstellt und das andere Gebilde nur ein Ausschnitt, lässt sich nicht endgültig feststellen. Flächen, die durch die weiße Farbe Transparenz suggerieren, setzt Schmitten so in eine nach beiden Seiten umkehrbare Beziehung, wo das eine Moment die Gestalt des anderen vorgibt und andersherum. Schmitten arbeitet so mit den gestalterischen Mitteln des wechselseitigen Spiels von Negativ und Positiv, des Ausschnittes und der Durchlässigkeit von Licht überraschend nah an den Prinzipien Fotografie.

Was bleibt für den Betrachter aus dieser ästhetisch farbenreichen und harmonisch ausgewogenen Begegnung der Werke von Wolfgang Tillmans‘ und Natascha Schmitten? Aus Sicht des jeweiligen technischen Verfahrens bleiben trotzt aller Parallelen die Werke von Tillmans‘ und Schmitten durch ihre Gattungen in ihren getrennten Bereichen.Über die Stofflichkeit des Malstoffes und des Malgrundes arbeitet Natascha Schmitten direkt mit Farbe und Licht, hält diese Medien mit dem Pinselaufstrich beide in der Hand. Bei Tillmans hingegen liegt ein physikalisch-chemischer Übersetzungsprozess zwischen dem, was er durch die Linse als Bild sieht, und dem, was der Entwicklungsprozess fähig ist aus dem zu machen, was die Kamera an Licht aufnehmen konnte. Eine weitere Gattung zwischen Malerei und Fotografie zu finden, ist nicht das Ziel des Werksdialoges von Made in Düsseldorf #2. Und diese Zurückhaltung ist auch gut so, denn es gibt eine Wahrheit, die beide Positionen vom ersten Handgriff bis zur Vervollständigung bestimmt und welche die Ausstellung einem mit beeindruckender Klarheit vor Augen hält: Farbe ist Licht. Dies ist die zarte Bereicherung, die Tillmans und Schmitten in ihrem von Katharina Grote von der Kunst- und Kulturstiftung der Stadtsparkasse Düsseldorf moderierten Dialog uns mitgeben und den Blick ein Stück erneuern.

 

Ausstellungsansicht Made in Düsseldorf #2: Natascha Schmitten/Wolfgang Tillmans  |  © NRW-Forum Düsseldorf, Foto: Katja Illner

Natascha Schmitten: Basenpaar, 2019  |  Courtesy die Künstlerin und Galerie Christian Lethert

Wolfgang Tillmans “Layers”, 2000  |  Courtesy of Galerie Buchholz, Berlin/Köln

Natascha Schmitten: El Segundo, 2019  |  Courtesy die Künstlerin und Galerie Christian Lethert

Ausstellungsansicht Made in Düsseldorf #2: Natascha Schmitten  |  © Marina Sammeck

Wolfgang Tillmans “New Family”, 2001  |  Courtesy of Galerie Buchholz, Berlin/Köln

Wolfgang Tillmans “paper drop (Roma)”, 2007  |  Courtesy of Galerie Buchholz, Berlin/Köln

Ausstellungsansicht Made in Düsseldorf #2: Wolfgang Tillmanns  |  © Marina Sammeck

Ausstellungsansicht Made in Düsseldorf #2: Wolfgang Tillmans  |  © Marina Sammeck