CHRISTO UND JEANNE-CLAUDE. Paris. New York. Grenzenlos —Kunstpalast

Durch ihre monumentalen Projekte im öffentlichen Raum sind Christo und Jeanne-Claude mittlerweile zu Legenden geworden. Verhüllungen berühmter Gebäude wie jüngst des Arc de Triomphe in Paris 2021, deren Realisierung der 2020 verstorbene Christo nicht mehr erlebte, erhalten große Aufmerksamkeit und prägen sich in das kollektive Gedächtnis ein. Den Weg, den das Paar, das sich Ende der Fünfzigerjahre in Paris kennenlernte, bis zur Konzipierung ihrer ikonischen, hoch komplexen Vorhaben beschritten hat, wurde jedoch bisher kaum betrachtet. Eine Ausstellung des Kunstpalastes in Düsseldorf CHRISTO UND JEANNE-CLAUDE. Paris. New York. Grenzenlos zeichnet die zentralen Etappen des künstlerischen Werdeganges des Duos nach und zieht so eine kontinuierliche Linie von den ersten Aktionen in den Sechzigerjahren bis zu den gigantischen Initiativen, für die Christo und Jeanne-Claude heute in Deutschland bekannt sind.

CHRISTO UND JEANNE-CLAUDE ordnet die Geste des Verpackens, mit der Christo bereits als junger Künstler begann, in den Kontext der künstlerischen Entwicklungen der Fünfziger- und Sechzigerjahre ein. Die Ausstellung macht so den künstlerischen Ansatz des Paares besser nachvollziehbar, dessen Entwicklung insbesondere in den Händen Christos lag, der 1958 von Bulgarien nach Paris geflohen war. Was Christo dazu bewegt hat, zunächst Papier und Stricke auf die Leinwand zu bannen und dann Alltagsgegenstände in grobe Stoffe oder dicke, milchige Kunststofffolie einzuwickeln und mit Kordeln festzuzurren, erscheint bis heute rätselhaft. Anhand von Werken seiner Mitstreiter*innen aus der Bewegung der Les Nouveaux Réalistes und der Arte Poverta wird jedoch deutlich, dass die Entscheidung Christos, sich von konventionellen Malmitteln abzuwenden und stattdessen durch die Verwendung primitiver Materialien wie groben Stoffen oder einfachen Verpackungsmitteln das traditionelle Kunstverständnis herauszufordern, aus dem Zusammenhang der künstlerischen Avantgarde der Zeit entstand.

So werden deutliche Parallelen zwischen Christos Aufbrechen der Leinwand und der ebenfalls skulpturalen Verwendung des Bildhintergrundes in den Bildern von Yves Klein, Jean Dubuffet und Alberto Burri sichtbar. Im Vergleich mit den Werken dieser Künstler, die Schwämme, zerschlissene Sackleinen und getrocknete Blätter auf den Bildträger applizierten, erhält Christos Hinwendung zu einfachen Verpackungsmaterialien klarere Umrisse. „Empaquetages“ (1961, 1962), in denen die umhüllten und mit Kordel fixierten Gegenstände lediglich die Konturen eines völlig neuartigen Körpers bilden und in Polyethylen verpackte „Wrapped-Magazines“, (1963, 1967) markieren Christos künstlerische Wende zur Skulptur und Aktion Anfang der Sechziger. Diese verpackten Objekte, die durch Umwickeln, Fixieren und Verbergen auch einen schützenden, manchmal nahezu sakralen Charakter annehmen, vermitteln bereits jene mythische und erhabene Ausstrahlung, die viele Jahre später im temporären Entzug ganzer Gebäude aus dem öffentlichen Stadtbild wiederkehrt und in der Transformation von Landschaften zu erkennen ist. Eine Verhüllung von Fässern im Kölner Rheinauenhafen im Jahr 1961 wirkt noch wie ein zaghafter Testlauf für kommende Projekte. Noch im selben Jahr versperrten Christo und Jeanne-Claude als Reaktion auf die Errichtung der Berliner Mauer eine schmale Straße im Pariser Viertel Saint-Germain-des-Près mit einer Barrikade aus Ölfässern.

Die Ausstellung begleitet Christo und Jeanne-Claude weiter durch die Sechzigerjahre, 1964 ziehen sie ins neue Kunstzentrum New York. Man erfährt von einer Reihe weiterer Verhüllungs- und Verpackungsaktionen im öffentlichen Raum, in welchen Statuen, Fahrräder und auch ein VW-Käfer zum Einsatz kommen. Eine Planskizze aus der Reihe der „Store Fronts“, holzverkleidete Ladenfronten, deren Vitrinen mit Stoffen verhängt waren und die Christo im Atelier aufbaute, vermittelt einen Eindruck von seinem Werdegang als visionärer Zeichner und Konzeptionist. Starke Linien, kräftige Farben und Konturen, die sich markant vom Hintergrund abheben, kennzeichnen bereits die Skizzen solcher kleiner dimensionierten Initiativen. Der selbe unverwechselbare Stil, der die verhüllten Bauten aus ihrer Umgebung hervortreten lässt, findet sich dann in allen späteren Plänen wieder, die sich schließlich hin zu ganzen Gebäuden und historischen Monumenten verlagern. Die Pläne wirken sehr plastisch und pragmatisch, dennoch haben die in Stiftstriche eingehüllten Monumente auch etwas Magisches an sich. Christo und Jeanne-Claude finanzierten sich ihre millionenschweren Projekte stets aus den von Christo angefertigten Planskizzen, die eine Qualität erreichen, die sie zu eigenständigen Kunstwerken macht.

Der Reiz der Ausstellung liegt somit in erster Linie in der mannigfaltigen Präsentation dieser zahlreichen Planskizzen, mit denen es bisher kaum Begegnungsgelegenheiten gab und die immer wieder in ihrer eigenartigen Schönheit erstaunen, eine seltene Kombination aus kräftigem Duktus und unglaublicher Präzision, eingegossen in feinen Farbabstimmungen. Tatsächlich sind die Pläne, die eine starke graphische Anmutung  besitzen, keine reinen Zeichnungen, sondern Siebdrucke und Litografien, die zusätzlich mit Bleistift, Kohle, Wachskreide und Emaillefarbe bearbeitet wurden. Damit kommen sie Collagen näher, wofür auch die Ergänzung durch Fotografien, Stadtpläne und händische Beschriftung spricht. Auf manche zurückliegende Projekte, wie die Umhüllung der Pont Neuf in Paris im Jahr 1980, wird man hier zum ersten Mal wirklich aufmerksam, genauso wie auf solche, die nie realisiert wurden, wie beispielsweise eine Verpackung des Kölner Doms von 1992.

CHRISTO UND JEANNE-CLAUDE hält einem auch vor Augen, wie entscheidend die Einhüllung des Reichstages 1995 in Berlin für die Wahrnehmung der Künstler*innen in Deutschland war. Bis heute steht dieses Projekt, das seit den Siebzigerjahren bestand, aber immer wieder von Seiten der Politik abgewiesen wurde, hier zu Lande emblematisch für das Paar. Eine schematische Zeichnung aus dem Jahr 1972, in der sich eine Menschenmenge vor dem verhüllten Gebäude versammelt, ergänzt um eine Fotografie des vom Krieg zerstörten Gebäudes, deutet darauf hin, dass hinter dem Vorhaben auch ein politischer Gedanke lag. Der unglaublich große Erfolg dieser Aktion, welcher in der Ausstellung durch reichlich Pressematerialien dokumentiert ist, stand so auch im Zusammenhang mit der Tatsache, dass die Geste des Verpackens und der Umwandlung des Baus in eine Besuchsattraktion der gerade erst wiedervereinten deutschen Bevölkerung den Reichstag als Gebäude in gewisser Weise als Symbol der Einheit zurückgab. Der eingehüllte Reichstag belebte so die Stadtbaustelle Berlin vor dem Umzug der Bundesregierung 1999 wieder.

Zuletzt widmet sich die Ausstellung den Landschaftsprojekten, die man allgemein mit dem Spätwerk von Christo und Jeanne Claude verbindet, welche aber tatsächlich schon in den Sechzigerjahren entstanden und somit parallel zu den Verhüllungen von städtischen Monumenten liefen. Initiativen, wie die Umrandung von künstlichen Inseln in der Biscayne Bay in Florida nahe der Stadt Miami mit pink leuchtenden Planen, bringen ein neues Konzept der Bedeckung ins Spiel, das neben Verhüllung auch auf architektonische Ergänzung   setzt, um bestehende Strukturen zu transformieren und neue Anblicke zu schaffen. Skizzen dieser Projekte, die durch vibrierende Farben wie Pink, Orange und Gelb bestechen, lassen drauf schließen, dass zwischen den Landschafts- und Gebäudeprojekten im städtischen Raum weiterhin engen Verbindungen bestanden. So fanden viele der Aktionen in hybriden, von Menschen besiedelten oder geschaffenen Naturräumen statt, wie dem Central Park in New York, wo 2005 als zuversichtliche Geste zur Bewältigung des Traumas nach der Katastrophe von  9/11 die berühmten „Gates“ mit ihren im Wind wehenden orangen Vorhängen aufgestellt waren. Gleiches trifft für die ebenfalls extrem populären „Floating Piers“ zu, mit gelb-orangem Kunststoffgewebe umhüllte schwimmende Stege, auf denen man 2016 über die Wasserfläche des Lago Iseo in Norditalien schreiten konnte. In diesen Werken wird die natürliche Umgebung durch bauliche Eingriffe selbst zum Monument, wobei stets die Vergänglichkeit der Transformation betont wurde. Keines dieser in Konstruktion und Logistik bis ins kleinste Detail durchdachten Projekte war dazu anlegt, jemals Spuren zu hinterlassen, was sie umso wahnwitziger erscheinen lässt.

Christo und Jeanne-Claude konzipierten ihre Projekte nicht für jemanden oder aus einem bestimmten Anlass. Wie Jeanne-Claude es in einer Pressekonferenz 1995 in Berlin hervorhob, betrachteten sie ihre temporären Umgestaltungen des öffentlichen Raums allein als Ausdruck ihres künstlerischen Schönheitsverständnisses. „Künstler*innen machen ihre Werke in erster Linie für sich selbst. Wir tun diese Dinge, weil wir denken, dass sie schön sind und weil wir sie sehen wollen“. Diese Aussage erstaunt umso mehr, wenn man sich vor Augen hält, dass die meisten Projekte jahrzehntelange Vorbereitungen erforderten. Neben logistischen Herausforderungen musste auch die Skepsis lokaler Behörden bewältigt werden, was zu langen Verzögerungen vieler Initiativen führte. Die Tatsache, dass sich Christo und Jeanne-Claude, die hauptsächlich für diese organisatorische Seite zuständig war, von diesen Schwierigkeiten niemals einschüchtern ließen und stattdessen ihre Visionen stetig weiter verfolgten, ist ein weiterer erinnerungswerter Aspekt, den die Ausstellung vermittelt. So erscheint es, als hätten sich Beide durch ihr letztes noch unrealisiertes Projekt, einer gigantischen Pyramide („Mastaba“) aus hunderttausenden Ölfässern in der Wüste von Abu Dhabi, die hier als Modell präsentiert wird, selbst ein Denkmal gesetzt. Ganz unabhängig davon, ob diese Pläne jemals realisiert werden, steht die Mastaba für das Weiterbestehen ihrer Ideen und die künstlerische Kraft, über das Mögliche hinauszudenken. CHRISTO UND JEANNE-CLAUDE. Paris. New York. Grenzenlos. In diesem Sinne wird die Ausstellung ihrem Titel vollkommen gerecht. Denn sie verleiht dem nicht mehr lebenden Paar eine Stimme, die nicht nur von einem eindrucksvollen künstlerischen Werdegang berichtet, sondern auch von einer großartigen Partnerschaft erzählt.

 

Christo und Jeanne-Claude. Verhüllter Triumphbogen, Paris, 1961-2021  |  © Christo and Jeanne-Claude Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn, 2022. Foto: Wolfgang Volz

Christo. Ladenfront, 1965 Bleistift, Holz, Stoff, Metallklammern, Emailfarbe und verzinktes Metall 82 x 67 cm Sammlung Ingrid & Thomas Jochheim  |  © Christo and Jeanne-Claude Foundation / VG Bild-Kunst; Bonn; 2022. Foto: Archiv Christo and Jeanne-Claude Foundation

Christo. Verhüllter VW-Käfer von 1961, 1963–2014 Persenning mit Ösen und Seil 150 x 158,5 x 404,4 cm Christo and Jeanne-Claude Foundation  |  © Christo and Jeanne-Claude Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn, 2022. Foto: Wolfgang Volz

Christo. Verhüllte Pont Neuf (Projekt für Paris – Länge 270 m), 1980 Bleistift, Stoff, Bindfaden, Pastell, Wachsmalstift, technische Angaben und Luftaufnahme Zweiteilig: 71 x 28 cm und 71 x 56 cm Sammlung Ingrid & Thomas Jochheim  |  © Christo and Jeanne-Claude Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn, 2022. Foto: Archiv Christo and Jeanne-Claude Foundation

Christo und Jeanne-Claude. Verhüllter Reichstag, Berlin, 1971 – 95  |  © Christo and Jeanne-Claude Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn, 2022. Foto: Wolfgang Volz

Christo. Die Tore. Projekt für den Central Park, New York City, 2004. Bleistift, Stoff, Wachskreide, Kohle, Emailfarbe, von Hand gezeichnete Karte, Klebeband und Stoffmuster Zweiteilig, 77,5 x 66,7 cm und 77,5 x 30,5 cm Sammlung Ingrid & Thomas Jochheim  |  © Christo and Jeanne-Claude Foundation/ VG Bild-Kunst, Bonn, 2022. Foto: Hanna Neander

Christo. Die Mastaba von Abu Dhabi (Projekt für die Vereinigten Arabischen Emirate), 1979  |  © Christo and Jeanne-Claude Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn, 2022. Foto: Hanna Neander