Welcome to the Jungle —Kunsthalle Düsseldorf

Wie können wir uns ökologisch korrekt verhalten? Welchen Informationen können wir dabei vertrauen und an welchen Maßstäben können wir unser eigenes Verhalten ausrichten? Die Gruppenausstellung ,,Welcome to the Jungle“ möchte auf die Dilemmata hinweisen, denen wir uns aussetzten, wenn wir versuchen solche nachhaltige und ressourcenschonenden Entscheidungen zu treffen. Für die Kuratoren der Ausstellungen verirren wir uns auf dem Weg nach dem ,,richtigen“ Verhalten in einem Dschungel überbordender und verstrickter Informationen und moralisch im Widerspruch stehender Optionen, der sich nach keinem Prinzip kartieren lässt und in dem keine Richtung eine versprechende Lösung zeigt. Die Kunsthalle präsentiert eine neue Generation junger Künstler, die sich aus der lokalen Perspektive mit den großen und kleinen moralischen Zwisten des ökologisch und gesellschaftlich korrekten Verhaltens auseinandersetzt.

Die oft schwerwiegenden Paradoxien und Widersprüche die hier entstehen, werden auf humorvolle Weise bearbeitet. Häufig erscheinen sie zunächst absurd und dem Problem der Ausstellung gegenüber realitätsfern. Doch sie zeugen von KünstlerInnen, die sich in ihrem Werk in erster Linie fragen, was die Rolle des Künstlers in Hinblick auf die aktuelle Lage und Konflikte der Gesellschaft ist. Die eigentümliche Ästhetik ihrer Werke, die sich allesamt neuer Medien wie der Videokunst und der Installation bedienen, dient nicht in erster Linie zum Genuss, sondern ist ein Transportmittel in Situationen des jeweilig thematisierten Dilemmas hinein. In ihren Werken entwerfen die KünstlerInnen Situationen, die uns betreffen und in die wir auf zunächst vergnügliche Weise über den absurden oder humorvollen ästhetischen Eindruck hineingelangen. Einmal in das Problem des Kunstwerkes hineingelangt, kommen wir nicht wieder heraus, um uns mit diesem essentiellen Dilemma auseinanderzusetzen und einen eigenen Standpunkt zu beziehen. Dieser Anstoß zum Nachdenken befreit uns jedoch ein Stück aus dem Eindruck der Orientierungslosigkeit im Dickicht der Handlungsoptionen. Dinge die als komplex wahrgenommen werden, erscheinen auf einmal so einfach, da die KünstlerInnen zeigen, dass es eine gemeinsame Erfahrung ist, die wir teilen/auf die sich alles auf essentielle und menschennahe Erfahrungen runterbrechen lässt. Dass wir nicht allein im Jungle stehen. Die Ausstellung führt uns in Etappen durch diesen Jungle, in denen uns Lichtungen offenbart werden, die das Undurchsichtige an Stellen greifbar machen.

Manche dieser Lichtungen stellen ganz konkret Orte ökologischer und moralischer Entscheidungsdilemmata dar. So sehen wir den slowakischen Künstler Oto Hudec in seiner Videoarbeit ,,Corn Bread Music“ (2018) dabei zu, wie er vor einem gewaltigem Gletscher, einem Maisfeld oder mitten in einem verschneiten Wald mal Gitarre oder Ukelele spielt und je nach Szenerie dazu singt. Der scheinbare Versuch, durch musikalisches Beschwören mit der Natur in Kontakt zu treten, erscheint zunächst an Albernheit nicht zu überbieten. Doch durch diesen gewitzten Turn macht Hudec auf ein ganz zentrales Dilemma aufmerksam: dass wir Menschen eben nicht in der Lage sind, mit der Natur zu kommunizieren, dass wir einerseits Schutz und Frieden in ihr suchen, sie verehren in ihrer Schönheit, aber gleichzeitig gnadenlos zerstören. Wie können wir es besser machen? Wir stehen hilflos dar, wie Hudec mit seiner Ukelele. ,,Corn Bread Music“ ist ein Ausdruck Hudecs künstlerischen Ansatzes, auf humorvolle und leichtfüßige Art und Weise schwerwiegende Themenfelder wie ökologische Herausforderungen oder gemeinschaftliches Zusammenleben anzusprechen und somit die Grenzen der künstlerischen Möglichkeiten gegenüber den komplexen Realitäten aufzuzeigen.

Kristina Buchs Videoarbeit ,,One things that baffles me about you is that you remain unmurdered“ (2012-2016) ist das Resultat eines moralischen Konfliktes: es dokumentiert das dreijährige Zusammenleben der Künstlerin mit einem Huhn, das der Idee der Künstlerin nach eigentlich als lebendiger Teil einer Installation am Ende der Ausstellung verspeist werden sollte. Dieses Ausstellungsvorhaben wurde jedoch von den Kuratoren gestoppt. Auch als in 2015 das Projekt in der Süddeutschen abgedruckt wurde, fand eine Intervention durch die kurzfristige Abänderung des Titels statt. In dem Video zeigt die schwenkende Kamera die Konturen einer Wohnung, in ständigen Schnitten wird Buchs Zusammenleben mit dem Huhn gezeigt, das Huhn in Nahaufnahme bei der Erkundung in seiner Umgebung während Buch alltägliche Tätigkeiten verrichtet. Die hierarchische Ordnung Mensch/Tier, in der das Huhn ursprünglich Buchs wehrloses, zur Tötung prädestiniertes Opfer war, scheint in dem Video umgedreht. Buch muss sich nun in ihrem Alltagsleben der Anwesenheit des Huhns anpassen, das in der Wohnung tun und lassen kann, was es eben von seiner Natur aus tut. Die Situation wirkt surreal, das Huhn gegenüber der Künstlerin souverän. Die Schaffung ephermer und ortsspezifischer Arbeiten mittels natürlichen Ressourcen sind typisch für Buch. Mit der Dokumentation des Zusammenlebens als Huhn macht Buch auf die Irritationspotentiale aufmerksam, die durch Kontextverschiebungen – wie von der Absage der Ausstellung über zur Entscheidung Zusammenleben mit dem Huhn bis zur Verwerfung des geplanten Titels in der Süddeutschen – entstehen.

Wie in all ihren Werken thematisiert Laura Lima auf scheinbar realitätsabgerückte Weise in ihrer Performace-Installation ,,Fumoir“ (2009) die Denkmuster, nach denen wir handeln, um moralisch korrekte Entscheidungen zu treffen und präsentiert deren Konstrukthaftigkeit. Mit einem Pavillion, der ausgeschmückt ist von historischen Pfeifen und pfeifenartigen Gebilden und indem eine anonyme Person durch zwei Löcher uns Zigaretten anbietet, kreiert sie eine zunächst banale Situation: wir müssen uns dafür oder dagegen entscheiden, eine Zigarette entgegenzunehmen und zu rauchen. Doch die spezifische, subtile Ausgestaltung der Situation, die wie typisch in Limas Werk auf einmal über das Alltägliche hinaus etwas Magisches mit hineinbringt, wird uns die Schwere der Moral, die Verfestigung der Denkweise bewusst, nach der man sich in allem Fall gegen das Rauchen entscheiden muss. Denn in ,,Fumoir“ scheint es sich nicht um übliches Rauchen, sondern eine rituelle Handlung, eine Art Raucher-Religion zu handeln. Können alltägliche, fest bewertete und klassifizierte Handlungen nicht auch etwas Anderes sein? Auf spielerische Art und Weise, die zum schmunzeln bringt, bringt Lima so die Möglichkeit einer flexibleren Haltung hinsichtlich unser Entscheidungen mit ins Spiel, die wir selbst oft als ganz-oder-gar-nicht Dilemma verstehen.

Kota Takeuchis Videoarbeit ,,Finger Pointing Worker“ (2011), das er in Zusammenhang mit der Nuklearkatastrophe in Fukushima schuf, zeigt in einem eingefroren Videostil von wenigen Sekunden das Bild eines Arbeiters in Schutzkleidung und Atemmaske , der provokativ mit dem Finger in die Linse einer Überwachungskamera zeigt, eine Geste, die damit direkt an den Betrachter gerichtet ist. Eine Tonspur ist unterlegt, in der das schwerfällige Atmen zu hören ist. Die minimalistische Arbeit zieht einen direkt in den Bann. Takeuchi thematisiert in der Arbeit die Rolle des Zuschauers bei Katastrophen, der sich durch die in den Medien verbreiteten kollektiven, fast alltäglichen Bilder der Nuklearkatastrophe, durch die der Zuschauer sehr nah an das Geschehen herantreten kann, sich aber nach belieben wieder distanzieren kann. Diese passive Rolle greift Takeuchi in Finger Pointing Worker an: eine anonyme Person, von den Medien ignoriert, schafft einen Begegnungsmoment, zeigt den Zuschauer an und macht so die verdrängte, gesamtgesellschaftliche Verantwortung deutlich, die auch mit dieser Katastrophe in Verbindung steht. Takeuchis Arbeit ist ein buchstäblicher moralischer Fingerzeig, der für mich stärkste in der Ausstellung.

Einen ganz anderen Aspekt im Jungle der Dilemmata der Entscheidungsfindung, nämlich die Orientierungslosigkeit in der digitalen Welt auf der Suche nach der eigenen Identität thematisiert die chinesische Künstlerin in ihrer begehbaren Rauminstallation ,,This Way or That Way“ (2016). Zunächst erscheint das Ganze vergnüglich: wir beschreiten einen Teppich aus bunten Quadraten mit computergenerierten Mustern, die mit kurzen Sprüchen in verschiedenen Schriftstilen versehen sind. Mit der Auseinandersetzung mit den Kurzzeilern beginnt jedoch die Überforderung: die synthetische Ästhetik und die scheinbar endlose Fülle der beschrifteten Quadrate machen schwindelig. Noch verwirrender sind die Sprüche selbst: einerseits kommen sie mit einer positiven Idee daher, die dann jedoch in ihrer Aussage sinnfrei und hohl erscheint. Shiyuan hat diese Sprüche, die uns das trügerische Gefühl geben, in einer Welt zu leben, die sich kindlich leicht durch ein positives Mindset bewältigen lässt, aus dem Internet zusammengetragen. Sie deuten an, dass diese digitale Comfort-Sprache das Leben tieferer Werte nur vorgaukelt – und das der Weg zu einer stabilen Identität und einer moralischen Haltung eben unbequemer ist.

In einer zweiten Gruppe Werke stehen nicht mehr konkrete Entscheidungs-Dilemmata im Vordergrund. Vielmehr werden durch die Ästhetik der Werke subtile Situationen erzeugt, die den Betrachter die in den Werken angelegten Paradoxien verspüren lassen. Alvaro Urbano erschafft mit seiner abgeschlossenen begehbaren Rauminstallation ,,Office“ (2017) ein für uns bekanntes Ambiente: der Betrachter durchschreitet einen Flur wie man ihn in Büros oder Behörden kennt, schmucklos mit einem faserigen dunklen Teppich und Lüftungsschächten. Ein bisschen ungewöhnlich sind die Briefumschläge, das Papier und die Zigarettenstümmel, die auf dem Boden verstreut sind. Dieses Bild setzt sich fort in dem niedrigen Raum, zu dem der Flur führt: dazu stählerne Beleuchtung, leere Kartonboxen, eine Büropflanze in der Ecke. Die Arbeit macht deutlich, wie sehr bestimmte Ambiente mit bestimmten Assoziationen verbunden sind: die Gestaltung der Umgebung lässt die Anonymität, letztendlich menschenfremde Umgebung des bürokratischen Apparates erfahren, das Chaos der Gegenstände symbolisiert das Versagen, diesen Apparat reibungslos in Gang zu halten. So sehr sind wir in unseren Assoziationswelten verhaftet, dass wir nicht merken, dass alle Gegenstände aus Metall und die Decken nur aus Papier sind. Alvaro macht so deutlich, wie sehr Künstlichkeit in unserer Wahrnehmung mit Echtheit verbunden sein kann, dass wir oft in der Art und Weise, wie wir Situationen aufnehmen, bereits vorgeprägt sind.

Jonathas de Andrade ist ein Künstler, der sich mit den verdrängten Problemen der Gesellschaft seines Heimatlandes Brasiliens auseinandersetzt. Seine filmische Arbeit ,,O Levante“ (The Uprising) wirkt auf den Zuschauer zunächst wie eine dramatische Inszenierung. Mit der Kamera wird ein Pferderennen inmitten der Stadt Recife verfolgt. Ärmliche Einspänner gesteuert von heroischen jungen Männern traben im Abendlicht durch die leeren Straßen, eine hochtechnisierte und moderne Umwelt, in der die Holzkarren und deren Jockeys seltsam fremd wirken. Der klagende Gesang eines Hirten verstärkt die unwirkliche und mythische Atmosphäre. Das Kunstwerk was wir betrachten, ist jedoch entstanden unter den Verhältnissen einer sozialen Ungerechtigkeit: die Ausgrenzung der ländlichen Bevölkerung durch das Verbot von Nutztieren in den Städten. Durch die Erzeugung eines fiktionalen Geschehens gegenüber den Behörden konnte Andrade einen temporären Aufenthalt der Pferde in den Straßen der Stadt erreichen. Andrade thematisiert damit eine zentrale Problematik einer in gesellschaftlichen Realitäten verankerten Kunst: in wie weit darf man als KünstlerIn eingreifen, um soziale Missstände sichtbar zu machen? ,,O Levante“ befindet sich an einer noch zu kartierenden Überschneidung von Ästhetik und Moral.

Als Menschen haben wir oft Schwierigkeiten, Irrationales und Spirituelles nachzuvollziehen und lehnen dies oft auch (moralisch) ab, beispielsweise wenn es sich um Kulte von Sekten oder heute noch praktizierte schamanistische Riten handelt. Der deutsche Videokünstler Mario Pfeiffer befreit sich in seiner Kunst jedoch bewusst von dieser Voreingenommenheit, er möchte ohne zu werten Zugang schaffen zu den für fremden und in der Regel abgelehnten Erfahrungswelten. In vereinnahmenden, von Pfeiffer entwickelten Bildwelten versucht er in der Arbeit ,,Corpo Fechado“ (2018) filmisch drei spirituelle Bewegungen in der brasilianischen Metropole Sao Paulo zu vermitteln. Zu sehen sind surreal-psychedelische Bilder,  ein Ineinanderfließen fremdartiger Umgebungen und Handlungen, alles erscheint überdreht, wie auf einem Drogentrip, aber auch irgendwie magisch und anziehend. Der Erzählstrang der Sequenzen ist kaum erschließbar, aber die Exotik der Bilder zieht einen in den Bann: es scheint hier ein übermenschliche Kraft zu geben, die wir nicht verstehen. So lockt Pfeiffer uns ein Stück in die Vorstellungswelt der Kulte, macht zugänglich, was man eigentlich nur nachvollziehen kann, wenn man es glaubt – und wo wir die Auseinandersetzung im konkreten Fall ablehnen würden.

Cynthia Marcelles begehbare Installation ,,Hunting Ground“ (2017) ist eine Arbeit, die einerseits durch ihre geheimnisvolle Atmosphäre zum entdecken einlädt, andererseits ein bald eintretendes Unwohlsein produziert. Über dem Fußboden der großen Halle, die gänzlich ins Dunkel getaucht ist, hat die Künstlerin als zweiten Boden ein Gitter installiert, wie es oft in Außenkorridoren verwendet wird. In dieses Gitter sind immer wieder Steine eingelassen, die das Begehen unterbrechen. Die gesamte Konstruktion steigt zur Wand hin leicht an. Obwohl der Aufbau simpel und leicht zu erfassen ist, fühlen wir in der Begehung einen leichten Kontrollverlust. Obwohl sich der Gitterfussboden nur minimal vom Boden abhebt und diesen stabil bedeckt, assoziieren wir Angst mit dieser Art von Bauteil. Jeder kennt das Gefühl, durch so ein Gitter auf einem Balkon stehend meterweit in die Tiefe schauen zu können, verbunden mit dem Drang, diesen Blick zu vermeiden. Die eingeklemmten Steine können durch die Fusstritte nach unten gestoßen werden. Unmittelbar tritt die Beschäftigung mit der Frage ein, wie weit der nicht sichtbaren Boden ist, worauf diese fallen. Marcelle hält uns eine Welt vor Augen, die vollständig in bekannte Kategorien passt aber trotzdem verunsichert. ,,Hunting Ground“ ist wie eine Metapher für die Unsicherheit, die wir mit dem Begehen unserer Wege und der Entscheidungen, die wir gezwungen sind dort zu treffen, verbinden.

Welcome to the Jungle ist nicht zuletzt durch den Schwerpunkt auf Videoarbeiten sowie die begehbaren und sogar interaktiven Installationen eine aufregende Ausstellung. Auf ungewollte Weise hat das Ausstellungserlebnis selbst etwas von seinem metaphorisch gemeinten Titel – es fühlt sich bisweilen tatsächlich wie das Durchschreiten eines Dschungels an. Viele Arbeiten zeigen in beeindruckenden Bildern Natur oder Tiere, spielen sich in entfernten Weltteilen wie Südamerika ab. Schamanistische und magische Aspekte sind stark vertreten, oder der Besucher wird in fremdartigen Situationen in seiner Wahrnehmung komplett vereinnahmt. Ein großer Teil der Arbeiten ist in einem komplett verdunkelten Saal präsentiert, den nur Videoarbeiten erhellen und der sich wie ein Parcours durchschreiten lässt. Wie intensiv man den ,,Dschungel“ nun erfährt: Welcome to the Jungle schafft Bewusstsein für die Fragilität der Maßstäbe, nach denen wir unsere eigenen Wege in der Welt zeichnen. Und thematisiert damit tatsächlich ein Hauptproblem unserer Zeit, die Frage nach nachhaltigen und korrekten ökologischen und sozialen Handeln. Mit Augenzwinkern lassen uns die KünstlerInnen erfahren, dass es nicht den einen richtigen Weg durch den Dschungel gibt, wie es auch nicht das eine ,,richtige“ Verhalten gibt. Es gibt nicht nur starre moralische Kreuzungen von entweder-oder,  sondern Zwischenverbindungen.

 

Installationsansicht Mario Pfeiffer und Cynthia Marcelle  |   © Kunsthalle Düsseldorf