Akademie [Arbeitstitel] —Kunsthalle Düsseldorf

 

Eine der fesselndsten Eigenschaften zeitgenössischer Kunst ist, uns an dem besonderen Teil der Gegenwart teilhaben zu lassen, den sie in ihrem Da Sein für sich beansprucht. Unmittelbar Zugang zu gewähren zu dem durch sie repräsentierten Erfahrungsmoment. Zeitgenössische Kunst ist kein statischer, in sich abgeschlossener Gegenstand. Sie ist in ständiger Bewegung auf uns zu. Kunst als ein den Betrachter mitnehmender work in process, als eine beständige Dynamik des Zugang Gebens und Teilhabelassens ̶ dies sind Kategorien zeitgenössischer Kunst, die in besonderer Hinsicht auf die Ausstellung Akademie [Arbeitstitel] vom 21. Oktober 2017 bis 7. Februar 2018 in der Kunsthalle Düsseldorf zutreffen. Denn nichts in dieser von den Studenten der Kunstakademien Düsseldorf und Münster sowie der Kunsthochschule für Medien in Köln durch den Anstoß der jeweiligen Professoren geplanten und autonom umgesetzten Ausstellung steht jemals still oder fest, nicht die Werke und nicht ihr konzeptueller Rahmen.

Anlässlich des 50-Jährigem Jubiläums der Kunsthalle und in Anlehnung an die legendäre ,,between“ Ausstellungsreihe von 1969-73, in der die Kunsthalle entstanden aus einer Protestsituation ihre Räume für Zeiträume von ein paar Wochen im offenen Dialog den Studenten der Kunstakademie geöffnet hat, überlässt auch dieses Mal die Institution ihre Räume gänzlich den Vorstellungen und Visionen der jungen Künstler. Und mit diesen zieht Bewegung in die Kunsthalle ein: denn über ihren knapp vier-monatigen Verlauf wechseln sich die Positionen in einem von den Studenten selbst koordinierten Turnus des Auf-, Ab- und Umbaus regelmäßig ab. Durch diese Unstetigkeit der physischen Präsenz der Ausstellungsobjekte kommt auch der sonst so geheiligte Aufbau nie zu ei- nem endgültigem Ende. Die Frage nach den Grundfesten des Konzeptes von Akademie steht so alle vier Wochen erneut zur Disposition. Der Titelzusatz [Arbeitstitel] erklärt die- se ständigen inhaltlichen Bewegungen, das Experimentelle und offene Ende, zum unhintergehbaren Format von Akademie.

Auf inhaltlicher Ebene setzen sich die Positionen von Akademie mit dem Thema ,,Archiv“ auseinander. Die Einladung, sich zu diesem Themenkomplex zu äußern bleibt die einzige Vorgabe seitens der Kunsthalle. Mit dem Aspekt ,,Archiv“ ist nicht nur die Gesamtheit des durch die Kunsthalle Bewahrten, die Geschichte ihrer Ausstellungen gemeint, sondern auch die Idee des Archives im weiteren Sinne und alle damit verbundenen individuellen und kollektiven Vorgänge des Erinnerns, Speicherns und Weiterverarbeitens. Manche KünstlerInnen nehmen die Themensetzung ,,Archiv“ zum Anlass, neue Werke auf Basis ihres eigenen Werksarchives zu schaffen, andere akzentuieren das

Archivarische in ihrem Werk. Weitere lassen sich dazu anstoßen, mit dem Sujet ,,Archiv“ völlig neue Wege in ihrem Werk zu gehen. Gleichsam eint die weiter nach Hochschule und Klasse sowie nach der individuellen Ausstellungserfahrung unterscheidbaren Positionen nicht nur eine konsequente, ansatztiefe Verkörperung des Themas, sondern auch der immer wieder erkennbare Rückgriff auf Medien und Materialien, die starke Assoziationen zum Bereich des Bewahrens und Erinnerns tragen. Eindrücke aus dieser rund 100 Positionen umfassenden Ausstellung, die zu einem Teil aus Performances besteht, lassen sich nur fragmentarisch wiedergeben. In vielen Fällen wir ,,Archivarisches“ künstlerisch angeeignet und in einem neuen Kontext präsentiert. Aus Blöcken aus gepresstem Papiermaterial entsteht ein begehbares Gebäude als Archiv aus Archiv. Von den Künstlern zensierte Polizeianzeigen werden in kuriose Ge- schichten transformiert. Misslungene, noch manuell retuschierte journalistische Fotografien werden großformatig abgezogen und grafisch bearbeitet zu neuen Kunstwerken. Aus defektem Videomaterial entsteht ein fotografisch anmutendes Gemälde, welches das schwarze Flimmern des Materials wiedergibt und so aus nicht verwendbaren Dokumentierten eine eigenständige Ästhetik schafft. Auf weiß getünchten Leinwänden hat eine Künstlerin digitale tabellarische Terminnotizen aus einem Doodle-Programm minuziös abgeschrieben und zu einem visuellen Datenballet verfremdet. Riesige Server- Regale werden, zurückhaltend mit Photographien ausgestattet, zu skulpturalen Objekten umgewandelt, die, ursprünglich als Aufbewahrungsorte des Digitalen konzipiert, zu Hüter des Analogen werden. Auf dem Boden verstreut liegen in Beton nachgegossene Fragmente von Fassadenverzierungen, Objekte, die angelegt an das persönliche Be- schäftigungsarchiv der sich mit Architektur auseinandersetzenden Künstlerin entstanden sind.

Als Moment aus dem Ausstellungsarchiv der Kunsthalle hat eine Künstlerin eine Spiegelung eines Werkes des 2015 in der Kunsthalle ausgestellten Künstlers Cody Choi photographisch festgehalten, das sich im Spiegel von Gerhard Richter spiegelt, des einzigen Kunstwerkes, das sich im Besitz der Kunsthalle befindet. Eine Klasse der Kunstakademie Münster wiederum bricht die Teilung von Werkslager und Kunstpräsentation, indem in der Ausstellung ,,stillgelegte“ Werke wie in einem Aufbewahrungsort nur in eingeschränkten Blickwinkeln sichtbar sind. Eine Videoinstallation ,,erfindet“ das mediale Archiv der Kunsthalle, indem es im Bad-Art Stil vor Ansichten der Kunsthalle Prominente so zusammenschneidet, dass sie sich scheinbar zu einer dort abgehaltenen Veranstaltung äußern. Ein Künstler hat einen eigenen Ausstellungsshop aufgemacht, in dem er Broschüren und Andenken, die er von Ausstellungen und kulturellen Events gesammelt hat, verkauft und so sein persönliches Archiv zweckentfremdet. An festgelegten Tagen findet man vor dem Eingang der Kunsthalle Papierblätter bedruckt mit Bildmaterial verstreut. Mit einem hinter einer Lücke in der Wand angebrachten Drucker drucken die KünstlerInnen ihr Archiv in die Stadt hinaus. Manche sind so mutig, ihr eigenes künstlerisches Archiv in die Ausstellung zu bringen und vor Ort zu bearbeiten. Die Frage, was in diesen besonderen Fällen das Kunstwerk ausmacht – ist es die immaterielle performative Handlung des anwesenden Künstlers oder das durch ihn vor Ort sichtbar materiell Bewerkstelligte? – und ob man überhaupt noch von einem Werk sprechen kann, wenn in Abwesenheit des Schaffenden nichts als eine spontane Installation von Kisten, Fotos und Bildschirmen bleibt, gehen durch die gewagte Blankziehung der Künstler hinsichtlich ihres Schaffens die Grundfesten des Werksbegriffes dermaßen heftig an, dass es, denkt man an den noch sich entwickelnden, ,,jungen“ Status der Werke der Künstler, erstaunt.

Hinsichtlich des intendierten Themenkomplexes ,,Archiv“, den Akademie als Summe erfahrbar machen soll, zeigt sich, wie die Frage nach dem Umgang mit Erinnerung und nach dem spezifischen Wert des Bewahrten durch die sich beständig aktualisierenden Werks-Gegenüberstellungen in immer wieder anderen Kontexten thematisiert wird. Diese stetig neu angestoßene Dynamik des offenen Endes in der Kommunikation der Erfahrungsmomente zum Themenkomplex des Archives ist, was Akademie in Bewegung hält und diese Ausstellung einzigartig macht. Denn Akademie [Arbeitstitel] arbeitet mit einer Ehrlichkeit hinsichtlich des Prozesses ihrer Entstehung, sowohl in Blick auf die Ausstellungsplanung und Durchführung als auch hinsichtlich der individuellen Werksschaffung und Werksintegration seitens der KünstlerInnen, die selten so zu sehen ist. Der Turnus des ständigen Wechsels der Positionen wird nicht durch die üblichen Taktiken oder Requisiten, die dem Konzept gegenüber dem künstlerischen Geschehen, Vorrang geben würden, verborgen. So ist an der Stelle einführender Texte eine Arbeitsliste angebracht, die eigentlich allein in die Hand der koordinierenden KünstlerInnen gehört. In spontaner Schrift sind die Namen aller Künstler der Ausstellung vermerkt: neben denjenigen, die gerade ausstellen durchgestrichen auch solche, deren Werke bereits abgebaut sind, sowie diejenigen, die noch nicht an der Reihe sind. Dadurch, dass das, was normalerweise hinter den Kulissen geschieht, als treibende Kraft in die Ausstellung hineingeholt wird, wird in Akademie erfahrbar gemacht, dass das Kunstwerk auch Stellvertreter eines Prozesses, eines kreativen Schaffens und Austausches ist, der bereits vor dem vollendeten Werk besteht und erst durch das Erfahrbarmachen im Rahmen der Ausstellung zu einem vorläufigen, da in der Subjektivität des Einzelnen liegenden Abschluss findet.

Wer die Ausstellung mehrmals besucht, merkt, wie die alten Werke den Raum schaffen für die Neuen. Jegliche Barrieren zwischen Inszenierung und Reflexion brechend, möchten die KünstlerInnen diesen Eindruck dem Betrachter auch mitgeben, indem die Dokumentation der Positionen und die Nacharbeitung von Akademie in die Ausstellung mit reingeholt werden. Als Vorbereitung für eine Publikation gedacht, lassen Photographien im A4 Format von bereits abgebauten Werken und stattgefundenen Performances, die großflächig im in die Ausstellung integrierten ,,Büro für dokumentarische Angelegenheiten“ an die Wände angebracht sind, auf eine vollkommen unfertige Weise den Besucher auch an vergangenen Positionen teilhaben. Durch diese Form von schonungsloser Transparenz hinsichtlich des ,,geplanten“ Charakters der Produktion und Präsentation von Kunst tritt der Künstler als Architekt der Ausstellung gegenüber der Institution hervor.

Jegliche Hoheit über die Koordination der Zusammensetzung der Ausstellung abgebend, wird die Kunsthalle von einem temporären Aufenthaltsort für Kunstwerke zu einem Raum für die Zirkulation von Ideen, die durch die Künstler unter dem Begriff ,,Archiv“ in Umlauf gebracht und immer wieder neu bearbeitet werden. Da die Werke niemals Anspruch auf eine ,,endgültige“ Aussage erheben, sind Bedeutungen in Akademie nicht fixiert, sie entstehen zwischen den Werken. Die Fluidität von dem, was gemeint ist, macht die Ausstellung auf eine nicht ganz klar verortbare Weise lebendig. Somit bleibt als Erfahrung, dass Akademie nicht als Summe all ihrer Positionen auf- gefasst werden kann, genau so wenig wie die Ausstellung allein als gekonnte Umsetzung eines Themas oder Konzeptes zu verstehen ist. Vielmehr lässt sich Akademie als ein Prozess begreifen, eine Dynamik, die von den KünstlerInnen angestoßenen uns als Betrachter miteinschließt. Durch all ihre Bewegungen erfüllt Akademie so mit der ihr inhärenten Leichtigkeit den grundlegenden Auftrag zeitgenössischer Kunst: das hier und jetzt in Tat und Sache, heißt tatsächlich erfahrbar zu machen.

Ausstellungsansicht  |   © Kunsthalle Düsseldorf