Phoebe Colling James —Ginerva Gambino

Unser Verhältnis zu Relikten ist in der Regel unspannend. Als Zeugen eines vordefinierten, linearen Modells von Geschichte, bleibt der Blick auf Distanz. Die 1987 in London geborene, britisch-jamaikanische Künstlerin Phoebe Collings-James zeigt anhand von ihr platzierter Überbleibsel, Dingen und Zeichen, die sich den Kategorien ,,Vergangenheit“ und ,,Gegenwart“ gleichermaßen entziehen, wie fragil die gängigen Konzeptionen von damals und heute eigentlich sind. Brüche, Widersprüche, aber auch verdrängte Kontinuitäten machen für die Künstlerin eine gleichsam persönliche wie auch globale gesellschaftliche Erfahrung aus. Durch das offen-sichtliche in Fragestellen hierarchischer Zeitmodelle sensibilisiert Phoebe’s Kunst den Betrachter dafür, Identität als niemals abgeschlossene Einheit sich nicht kanalisieren lassender Ströme von Geschehnissen zu erfahren.

Auch in ihrer aktuellen Ausstellung in der Galerie Ginerva Gambino in Köln, ,,The amount of love you have to give me is more than I can stand“,  ihrer ersten Einzelausstellung in Deutschland, bedient sich Phoebe einer Vielfalt von Medien wie Skulptur, Zeichnungen, Video und Installation. Versehen mit symbolisch besetzten Gegenständen, Formen, Farben und Zeichen, teilen sich die Werke in einer irritierenden und dennoch nicht ganz fremden ästhetischen Sprache mit. In demselben Koordinatenfeld von Nähe und Fremdheit operieren auch die drei wandeinnehmenden Skulpturen in den Räumen der Galerie, ,,Sentimental Sac“, ,,Draw back your Bow“und ,,Bodied“ im Mittelmaß 150 x 150 x 20 cm. Durch ihre vertieften Korpusse und einer davor montierten Glasscheibe Vitrinen ähnelnd, zwei in der Form eines Kreuzes und eine in Form eines Quadrats, enthalten die transparenten Kästen jeweils ein, bzw. zwei Überreste von Plastiknetzen, die behelfsmäßig mit Klebstreifen im Zentrum der Boxen befestigt sind. Es handelt sich allem Anschein nach bei den Kästen aber nicht um klassische, rein auf Funktion konstruierte Vitrinen, denn zusätzlich zur dominanten Kreuzform, die dem universell eingesetztem Kreuz-Symbol für Organisationen, Krankenhäuser oder Rettungsdiensten nachempfunden ist, trägt die Farbe der Umrandung der Korpuskanten den exakten Farbton der Corporate-Farbe der Hilfsorganisation des Roten Kreuzes. Die Information, dass die Tiefe der Vitrinen nach den Maßen für Behälter von Leichen oder Körperteilen gemessen ist wie sie Nothelfer einsetzen, trifft bereits die Grenze der Aufnahmefähigkeit des Betrachters.

Sortierung in all diese zugespielten Allusionen bringt der einheitliche Eindruck, dass diese Objekte tatsächlich als Vitrinen gemeint sind, denn sie zeigen und beherbergen schützend den in ihnen befestigten Gegenstand, geben ihm eine Wichtigkeit, als würde er eine Botschaft tragen, die es (auf)zu bewahren gilt. Was wir sehen, sind farbige Fragmente von Plastiknetzen, die für den Warenverkehr von Gemüse und Obst als Verpackung gebraucht werden. Es sind Gegenstände, die über das Gütertragen von Lebensmitteln hinaus an sich keine große Bedeutung besitzen und auch künstlerisch nicht viel her machen. Und doch muss es hier eine Bedeutung über das Objekt Transportnetz hinaus geben. Denn im Zentrum der durch ihre zahlreichen Assoziationen mittlerweile leicht unheimlich daherkommenden Vitrinen sind sie wie mit einem Ausrufezeichen versehen platziert. Dramatisch arrangiert begegnet man nacheinander einem umgestülptem Fragment in Glockenform in einem stechendem Pink-Rot und mit schwarzem Zipfelband, einem weiß-gräulichen Planenkörper, der wie ein Geisteswesen erscheint sowie zwei gleichen Stücken eines orangenen Netzes, angeordnet wie zerrissene Flügel.

Phoebe verortet diese Überbleibsel als eine verdrängte Geschichte in die Gegenwart hinein weiterbezeugende Artefakte, nämlich die des interkontinentalen Sklavenhandels, dessen Routen diese Nahrungsimporte verpackt in die gezeigten Plastiknetze heute noch gehen. Wieder kommt man auf diese untrennbare Beziehung zwischen Objekt und Vitrine zurück, der Inhalt erscheint automatisch kostbar und mitteilend, also als kulturelles Artfakt. Und dann gibt es wieder diese Irritationsmomente in dem eigentliche transparenten Arrangement, denn die Kreuzform und die Auslegung ihrer Dimensionen überträgt Assoziationen von Rettung und Bedürftigkeit, Tod und Elend auf das Plastik-Relikt, das selbst nicht mehr in der Lage dazu ist aufzufangen. Die Kanten des Kreuzes schaffen in der Tiefe der Vitrine weitere Flächen, die aber leer bleiben, als würde in der Präsentation etwas fehlen, das nicht gerettet werden konnte. Das Rot der Kanten sticht im Auge und hinterlässt durch die Beleuchtung schwummrige Reflexionslinien auf der Wand. Die Objekte befinden sich allem Anschein nach in einer prekären Situation.

Aus einer schmalen Auswahl von bekannten Symbolen und Materialien der globalisierten Welt konstruiert Phoebe etwas, das wir durch die Art seiner Präsentation automatisch als ,,Artefakt“ auffassen – aber Artefakt von was und von wem? Denn dieses eigentümliche Plastik-Relikt passt in kein gängiges Geschichtsmodell. Die durch es thematisierten Ströme des Sklavenhandels endeten im 19. Jahrhundert und der Export von Agrarprodukten in solchen Plastiksäcken setzte vermutlich erst Mitte des 20. Jahrhunderts ein. Und doch ist das, was die Künstlerin als Gesamtaussage ihrer ,,Artefakte“ aufzeigt, wahr und chronologisierungswürdig. In wessen Konstrukt von Zeit und Geschehenem leben wir eigentlich? Was oder wer qualifiziert manche Dinge als Artefakte und schließt andere aus? Dies sind Fragen, zu denen Phoebe uns sanft aber bestimmt anstößt. Anhand von Plastiksackfragmenten, wie man sie im Müll von Großhandelsketten und Märkten überall auf der Welt auflesen könnte, thematisiert Phoebe die großen Komplexe der postkolonialen Theorie, welche das heute fortdauernde Modell von Geschichte als westlich zentriert und nach historischen kolonialen Machtgefällen konstruiert begreift. Diesen komplexen Bogen spannt sie begehbar und ohne den Kreis der Dinge zu überschreiten, die wir eh schon kennen – oder dies meinen.

Als Person mit zwei Abstammungen sich im wagen Raum zwischen zwei Kulturen bewegend, ihrer jamaikanischen und britischen Herkunft, ist, mit all den verbunden Erfahrungen von oft anderer Behandlung durch ihre nicht-weiße Hautfarbe, das Thema Identität für Phoebe ein notwendiger, künstlerisch zu bearbeitender Komplex. Dabei stehen jedoch nicht ihre individuellen Erfahrungen im Vordergrund, diese geben lediglich den Anlass, globale Themen von Identitäts-Konstruktion, Dominanz und Verdrängung anzusprechen und das Bewusstsein für diese Verwerfungen zu wecken. Dabei ist ihr Kommunikationsansatz demokratisch, heißt gleichgeebnet angelegt, nicht nur weil es zwischen den verwendeten Medien und den Kunstwerken keine Bedeutungshierarchien gibt, auch richten sich die Werke an ein unbestimmtes Publikum, in dem weder Herkunft noch Rasse noch die Belastung durch irgendeine historische Schuld oder Verantwortung eine Rolle spielt. Die Werke sollen durch ihre dramatische Inszenierung emotional bewegen und zur Auseinandersetzung einladen. Jeden.

Diese Herangehensweise, Botschaften intuitiv zu formulieren, lässt sich besonders prägnant in den wandhohen Zeichenarbeiten ,,Yellow Tissue“ wiederentdecken, die die Künstlerin eigens für die Ausstellung im bewussten Dialog mit den Vitrinen-Skulpturen geschaffen hat. Im Galerieraum den Vitrinen gegenübergestellt sind übereinander wie in Zeilen sechs gelbe Bahnen aus Stoffpapier wie beiläufig mit rotem artist-tape angebracht, das Papier ist eigentlich Verpackungsmaterial für fragile Gegenstände. Sie zeigen eine kuriose, rätselhafte Folge von mit Ölpastellstiften und Kreide auf Vorder- und Rückseite gezeichneten Figuren. Der Blick beginnt nach Gewohnheit auf Augenhöhe, dann streift er zur obersten Bahn und geht die Bahnen hintereinander von links nach rechts ab und versucht das gezeichnete Schauspiel zu lesen. Naiv skizzierte Vögel, Pflanzen, Augen, Spinnen, Schlangen, Wolken von Buchstaben, Wortketten, Hände, Sonnen, vieles davon kopfüber verdreht, manches in Wiederholung, anderes einmalig, reihen sich ein in eine Folge von Strichen, Reliefs und unendentifizierbaren Phantasieobjekten. Manche dieser Zeichnungen haben eine Bedeutung, wie die Spinne, welche aus jamaikanischen Mythen stammt und unter den dort hinverfrachteten Sklaven als ein Symbol für die das Überleben sichernden Eigenschaften Schelm und Hinterlist signifizierte. Alle anderen Zeichnungen, so sehr sie wie Symbole oder Zeichen erscheinen, unterliegen keiner Ordnung und sind der Deutung des Leser-Betrachters überlassen. Wozu dieses willkürliches Spiel?

Phoebe kokettiert hier nicht mit geheimnisvollen Zeichen, so wenig wie sie auf eine dem Betrachter unerschließbare Weise Mythen nacherzählen will. Der Künstlerin geht es um das Ausloten der Möglichkeiten einer universellen Sprache, die dominierende und verdrängte Narrative gleichzeitig und hierarchielos aufnimmt und die ohne eine bestimmte Bedeutung vorgebend von allen gesprochen werden kann und das Potential trägt, Erfahrungen gleichwertig wiederzugeben. Damit schließt sich der Kreis zwischen den ausgestellten Werken wieder: denn erneut weisen die Hieroglyphen ähnelnden Zeichnungen auf hierarchische, linear konstruierte Geschichtsmodelle, globale Ungleichgewichte und verdrängte Identitäten hin. Denn so eine Sprache, die den mehrstromigen, zersplitterten Verhältnissen der Gegenwart gerecht werden würde, gibt es (noch) nicht und wird es auch nicht geben, so lange wir Ereignisse der Vergangenheit und Gegenwart anhand von Andere und Anderes ausgrenzenden Perspektiven sortieren. Dies, voilà, ist der von den Postkolonialen Theorien thematisierte Problemkomplex, den Phoebe so meisterhaft beherrscht, und die mit ihren Vielfalt und Widersprüche einbindenden Modellen noch einen entschiedenen Schritt über die bloße Theorie hinausgeht.

Manche von Phoebes Werken verfolgen uns wie Geister, die wir nicht abschütteln können, andere eröffnen sich uns als gute Wesen, die uns trickreich einladen, mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten zu experimentieren. Eine Dialektik von brutal und fragil, dem Persönlichem und Globalem, Ahnenerbe und Profanem durchzieht die ausgestellten Arbeiten ebenso wie ihr gesamtes Werk, wodurch sich die Werke in einer niemals fixierbaren, deutungsoffenen Dynamik bewegen. Daher gelingt es nie ganz, Phoebes Werk auf eine bestimmte Richtung, sei es inhaltlich oder ästhetisch festzulegen, denn sie bewegt sich ohne dies klar zu behaupten im Raum der einer post-globalisierten Welt, der gerade erst dabei ist, erschlossen und wahrgenommen zu werden. ,,The amount of love you have to give me is more than I can stand“ lautet der Titel der Ausstellung. Er signifiziert, dass die marginalsten Zeichen und Gegenstände, nimmt man sie einmal aus dem Wust der Weltströme hinaus, eine heilende Eigenschaft haben können.

 

Installationsansicht  |  © Ginerva Gambino + Phoebe Collings-James

Draw Back your Bow  |  © Ginerva Gambino + Phoebe Collings-James

Bodied  |  © Ginerva Gambino + Phoebe Collings-James

Yellow Tissue  |  © Ginerva Gambino + Phoebe Collings-James

Sentient Sac (Sentimental Sac)  |  © Ginerva Gambino + Phoebe Collings-James